Die pure Ouvertüre, die reine Musik bei geschlossenem Vorhang, ist eher selten geworden im Musiktheater. Meist tut sich schon irgendetwas auf der Bühne zu den ersten Takten des Orchesters: Die Regie gewährt zum klingenden auch einen optischen Ausblick aufs Kommende.
Regisseurin Tatjana Gürbaca allerdings nutzt die wenigen Minuten des Vorspiels zu Wagners „Lohengrin“ so intensiv, dass sich die gesamte Keimzelle ihrer Inszenierung darin wiederfindet. Sie liefert eine eigene Vorgeschichte, welche sich schlüssig aus der Handlung extrahieren lässt. Da ist hinter der Gaze ein Telramund zu erkennen, der sich an die blutjunge Elsa heranmacht – und dann doch vor seinen eigenen Gefühlen zurückschreckt. Im Wald haben wir Elsas kleinen Bruder Gottfried kurz zuvor mit Ortrud gesehen, der künftigen Ehefrau Telramunds. Hat Ortrud mit Gottfrieds Verschwinden zu tun? Gürbaca gibt darauf keine abschließende Antwort. Telramund wird jedenfalls Elsa des Brudermordes beschuldigen. In Essen kehrt Gottfried nicht als verwunschener Schwan zurück, sondern wird die gesamte Oper über an Telramund kleben wie ein zombiehafter Schatten.
Auf wenige Minuten hat Gürbaca diese Vorgeschichte sehr gekonnt verdichtet. Konzentriert ist ihre Inszenierung auch räumlich. Vielleicht ein Drittel des verfügbaren Bühnenraums nimmt die schlichte weiße Treppe mit den hohen Stufen ein, auf der sich die gesamte Handlung abspielen wird. Für raumgreifende Action gibt es da keine Gelegenheit; alles bleibt im Rahmen übersichtlicher, eher subtiler Gesten. Gürbaca beherrscht die Präzision im Kleinen ausgezeichnet.
Kostümbildnerin Silke Willrett hat Chor und Solisten in moderne Kleidung und Dienstanzüge der Bundeswehr gesteckt. Die Regie widmet sich auch der Verführbarkeit der Massen durch den Heilsbringer Lohengrin, den niemand so recht kennt und den auch Gürbaca nicht in den Mittelpunkt rückt. Im Beziehungsgeflecht von Elsa und Ortrud mit Telramund liegt ihr Kern der Geschichte.
Stimmlich ist dieser Lohengrin mit vergleichsweise leichten Kalibern besetzt: Daniel Johansson singt die Titelpartie mit hellem, gut geführten Tenor. Jessica Muirhead gibt als Elsa ihr Rollendebüt mit großer Intensität, aber noch etwas Mühe im Forte. Katrin Kapplusch muss als Ortrud ihre vollen, dramatischen Reserven mobilisieren, was ihr gelingt. Almas Svilpas hingegen bräuchte als König Heinrich mitunter mehr Reserven in der Tiefe. Heiko Trinsinger kann als Telramund in den dramatischen Szenen überzeugen.
Die hohe Güte der Produktion macht zum einen das exzellent aufspielende Orchester unter Tomáš Neptopil aus, zum anderen aber auch die nahtlose Zusammenarbeit von Dirigent und einer Regie, die sehr nah an der Musik bleibt. Die Textverständlichkeit ist so klar wie selten bei einem Wagner.
„Lohengrin“ | R: Tatjana Gürbaca | 28., 30.12., 7., 11.1. 18 Uhr | Aalto-Musiktheater, Essen | 0201 81 222 00
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