Venedig ist zum kleinen, putzigen Liliput verkommen. Die neuen Maßstäbe setzten die schwimmenden Hotelkästen der Kreuzfahrtschiffe, die so riesig sind, dass sie beinahe den ganzen Himmel verdunkeln, wenn sie in den Hafen einfahren. Verlassen sie die Lagune wieder, gleicht das einem mittleren Seebeben, und so mancher winzige Palazzo bricht in der Bugwelle der Ozeanriesen in sich zusammen.
Der aktuelle Kommentar zum Zustand der einst legendär romantischen Lagunenstadt ist so treffend wie witzig, aber er ist auch mit einem Nachteil erkauft. Regisseur Bruno Klimek, der Johann Straußens Operette „Eine Nacht in Venedig“ auf die Bühne des Essener Aalto-Theaters gebracht hat, verzichtet für den etwa viertelstündlich wiederkehrenden Running Gag im ersten Akt weitgehend auf Requisiten und weitere Kulissen. Das lässt den langen ersten Akt etwas wie eine Revue wirken, in der im weitgehend leeren Raum agiert wird. Es soll nicht das einzige Problem dieser Inszenierung bleiben.
Running Gags bilden den roten Faden durch alle drei Akte. Sie funktionieren mal besser und mal schlechter. Hat sich das Kreuzfahrtschiff nach dem zweiten Mal schon spürbar verbraucht, bleiben die hysterisch umherlaufenden Frauengruppen, die der Ankunft des Herzogs von Urbino, einem berüchtigten Womanizer, entgegenfiebern, durchaus witzig. Und der Senator, der mit der Frage: „Wo ist meine Frau?“, immer mal wieder durch die Szenen geistert, gewinnt mit der Wiederholung sogar an Komik.
Viel zu viele sicher gut gedachte Pointen allerdings verpuffen in dieser Produktion sang und klanglos – weil das Timing nicht stimmt, weil eigentlich pfiffige Details so wenig deutlich werden, dass sie kaum einer mitbekommt oder andere viel zu umständlich aufgebaut werden. Dabei stimmen im Ensemble wirklich alle Voraussetzungen. Der junge niederländische Bariton Martijn Cornet etwa stolpert als Makkaronikoch Pappacoda so oft über seine eigenen Füße oder läuft gegen geschlossene Türen, dass man ihn schon bemitleiden kann. Spielfreude und Einsatz sind auch bei den anderen Beteiligten durchaus groß. Das ist deutlich zu spüren – und doch zünden die meisten Gags einfach nicht. Immerhin kann sich Regisseur Klimek darauf berufen, dass das Libretto schon seit der Uraufführung vor fast 135 Jahren für seinen flachen Humor kritisiert wurde. Andererseits hat sich Klimek offenbar genau deshalb daran gemacht, eine neue Textfassung zu schreiben. Am deutlichsten fällt das auf, wenn plötzlich jemandem etwas „am Arsch vorbei geht“. Viel dankbarer wäre es gewesen, das promiskuitive Karnevalstreiben der adeligen und plebejischen Gesellschaft auch textlich etwa auf aktuelle „Me too“- und Sexismusdebatten zu münzen. Doch diese Chance wird völlig vertan. Vielleicht war Klimek das Thema zu heikel.
So gerät die Inszenierung ab dem zweiten Akt dann auch recht konventionell mit schöner, wirkungsvoller Ausstattung (Bühne: Jens Kilian, Kostüme: Tanja Liebermann) und auf einem durchweg erfreulichen musikalischen Niveau. Johannes Witt, der zweite Kapellmeister, dirigiert die Essener Philharmoniker mit Leichtigkeit und Schwung. Dimitry Ivanchey gibt als Herzog einen etwas schmierigen Protz-Promi, der bei den Frauen nichtsdestoweniger gut ankommt. Gemeinsam mit Elbenita Kajtazi als Annina und Christina Clark als Ciboletta gelingen ihm schöne Terzette. Albrecht Kludszuweit ist als Barbier Caramello einer der Antihelden – mit wichtigen, exponierten Arien, für die es verdienten Szenenapplaus gibt. Liliana de Sousa schließlich singt die Barbara, jene Frau, die Karel Ludvik als Senator so verzweifelt sucht, mit viel mehr stimmlicher Tragkraft, gerade in den tiefen Registern, als ihre Sprechstimme vermuten lässt.
Das Finale, und das lässt sich der Regie nur bedingt vorwerfen, passt schließlich zum Gesamteindruck: Es kommt so schnell und ist so kurz, dass es als finaler Paukenschlag eigentlich kaum taugt. Es verpufft.
„Eine Nacht in Venedig“ | 30.9., 7., 28.10., 3., 11.11., 31.12. | Aalto-Theater Essen | 0201 81 222 00
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