choices: Frau Baumeister, Herr Rademachers, „Geld, wir müssen reden!“ – das klingt, als ob es Stress in der Beziehung mit dem Geld gäbe?
Eva-Maria Baumeister: Wir haben das Projekt mit einem Blick auf Geld und Macht gestartet. Mit der Corona-Krise hat sich die Frage nach dem Geld zu einer persönlichen Frage entwickelt, nach der Frage, wie abhängig wir vom Geld sind. Durch die Soforthilfen haben viele KünstlerInnen eine große Erleichterung gespürt. Plötzlich wurden Leistung und Geld entkoppelt. Das hat vielen erst einmal ein Gefühl von Freiheit und Sicherheit verschafft. Als zwei Wochen später klar wurde, dass daran Bedingungen geknüpft sind, entstand wieder das Gefühl der Abhängigkeit. Die Gefühle der existenziellen Bedrohung kamen zurück.
Guido Rademachers: Geld verbindet. Es schafft Verbindlichkeiten, die bis zu lebensbedrohlicher Abhängigkeit reichen können. Zum anderen setzt Geld Vertrauen voraus. Beides sind die Grundbedingungen einer jeden Beziehung. So gesehen ist Geld nicht mehr ein Gegenstand, sondern bezeichnet ein Beziehungssystem. Durch Corona ist das noch viel klarer geworden. Wir alle wurden ja aus einer Beschleunigung, einem Immer-Mehr an Produktionszwang und Konsum heraus in eine andere Erfahrungswelt gestoßen, die einen anderen Blick etwa auf Natur und Familie ermöglicht. Man tritt die eineinhalb Meter zurück, auch von seinem eigenen Leben, und stellt in dieser „Auszeit“ Fragen. Ob wir dieses ständige Mehr des Kapitalismus wirklich brauchen oder ob wir etwas anderes finden wollen.
Wie würden Sie denn die Beziehung Ihres Ensembles zum Geld beschreiben?
EB: Wir haben uns anfangs nach unserer Einstellung zu Geld befragt. Bei allen spielte die Frage nach Geld und Herkunft eine große Rolle. Aus welchem Kontext komme ich und spielt Geld da eine Rolle? Wie bestimmt mich das heute noch? Stehe oder stand ich in der Abhängigkeit meiner Eltern oder musste ich mir alles selbst erarbeiten? Das ist auch mit Scham behaftet, entweder weil man früher kein Geld hatte oder weil man reich war und andere kein Geld hatten.
GR: Wir haben alle anonym aufgeschrieben, wie viel jeder auf dem Konto hat, dann haben wir das zusammengerechnet und an die Wand geschrieben. Die Summe war erstaunlich. So etwas verändert sofort die Stimmung im Raum. Man spürt eine geradezu physische Anwesenheit von Geld. Man steht da und fragt sich: Wie kommt die Summe zustande? Und wer hat die zustande gebracht?
Spielt Geld auch heute in den Sozialbeziehungen Ihrer Generation eine Rolle?
EB: Das Geld spielt in meinem Freundeskreis zwar nicht mehr die Rolle eines Statussymbols, aber wir bewegen uns schon fast ausschließlich unter unseresgleichen. Das ist zwar weniger an Geld gekoppelt als an den Bildungsstandard, aber der Bildungsweg ist selbstverständlich wieder abhängig vom Einkommen der Eltern.
Sie beziehen sich auf Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“. Inwiefern?
GR: Mir ist der erste Satz in Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“ aufgestoßen. Der Kaufmann Antonio sagt: „Warum ich melancholisch bin, ich weiß nicht.“ Obwohl er sehr reich ist, ist er gleichwohl missgestimmt. Reichtum bzw. Geld und Melancholie scheinen hier miteinander verbunden zu sein. Wenn aber schon die Gewinner einer Gesellschaft zu leiden beginnen, dann dürfte das ein echtes Krisensymptom sein.
EB: Shakespeares Stück wurde für uns zu einer Art Lotse, gerade weil es den Charakter von Geld und unserer Beziehung dazu sehr gut beschreibt. Die Melancholie des Anfangs war unser Ausgangspunkt, dann haben wir uns nach dem Zusammenhang von Geld und Lust gefragt, also Bassanios Heiratswerbung um Portia, für die er viel Geld braucht; dann auch Spekulation und Risiko; und schließlich die scheiternde Spekulation von Antonio, mit der plötzlich der Ernst ins Stück einbricht, wenn Shylock die Rückzahlung fordert.
Bei Shakespeare spielt das Thema Schulden eine große Rolle. Es gibt ja auch die Theorie, dass der Anfang allen Geldes eigentlich die Schuld ist.
EB: Mit dem Thema Schuld haben wir uns natürlich auch beschäftigt. Wir haben gemerkt, dass jede Geldbeziehung immer mit Schuld einhergeht. Nur ganz selten hat man das Gefühl, man könne etwas nehmen oder etwas geben, ohne schuldig zu sein. Erst wenn man sich nicht über Geld und dessen Vermehrung definiert, dann verschwindet auch dieses Gefühl der Schuld. Aber wie David Graeber in seinem Buch „Schulden“ schreibt, steht das Zählen vor der Erzählung. Das steckt tief in uns drin.
Im „Kaufmann von Venedig“ hängen Geld, Schulden und Antisemitismus eng zusammen.
EB: Dass Shylock Jude ist und Geld verleiht, spielt bei uns keine Rolle. Es geht mehr um den Zustand und die Zuschreibung, dass man aus dem System des Geldverleihens gar nicht mehr rauskommt. Es geht auch um das Beharren auf den Verträgen dieses Geldsystems, aus diesem System von Verleihen und Rückzahlen, von Zinsen und Fristen.
Wenn man derzeit über Schulden spricht, dann ist klar, dass angesichts der Verschuldung der Haushalte das dicke Ende für die Kultur erst noch kommt.
EB: Die Angst, dass niemand weiß, was kommt, liegt unter allem. Wie werden wir überleben? In welcher Form wird es Theater noch geben? Ein Metasatz, der über allem steht, ist der Satz: „Ich bin ruiniert.“ Der ist wie eine Überschrift, die zugleich eine Existenzfrage transportiert. Andererseits hat dieses Bewusstsein der Bedrohung auch für eine unfassbare Ernsthaftigkeit und Intensität in den Auseinandersetzungen bei allen Beteiligten mit sich gebracht.
Worauf zielt dann letztlich Ihr Stück?
EB: Es geht um unser Verhältnis zu Geld. Unser Stück ist der Versuch, durch Reflektion einen Prozess der Veränderung anzustoßen. Eine Veränderung im Sinne eines Loslassens, also weder Angst zu haben vor dem Verlust des Geldes, noch Ängste, die entstehen können, wenn man viel Geld hat. Das hat dann auch gesellschaftspolitische Auswirkung. Was für Alternativen haben wir nach der Krise? Was blinkt da an solidarischen Momenten auf? Wie kann sich das Verhältnis von Geld und Macht verändern? Am Ende unseres Stücks gibt es einen kleinen utopischen Ausblick, was wäre, wenn die Geste des Teilens sich durchsetzt gegenüber dem Drang des Vermehrens.
Glauben Sie an diese eschatologische Hoffnung eines Neubeginns nach einer Krise?
GR: Ich glaube schon, dass andere Erfahrungswerte wichtig sind, um sein Verhalten zu ändern. Inwieweit das wirklich möglich ist, wird man sehen. Die Erfahrungen der Corona-Krise zeigen auch einen Sättigungsgrad an und das Bedürfnis vieler Menschen nach etwas Anderem.
Geld, wir müssen reden! | ab 3.9. | Freies Werkstatt Theater | 0221 32 78 17
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