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„Mach ‘n tollen ‚Tatort‘, dann sehen wir mal weiter“

Gegen den Einheitsbrei

19. April 2015

Ein Rendezvous mit Dominik Graf (Teil 2) – Foyer 04/15

Nach dem Gespräch über aktuelle Projekte und den Kritiker Michael Althen (Teil 1) ging es um Dominik Graf selbst als Kritiker des deutschen Films, der Dinge schreibt wie: „Nichts wie weg mit dem deutschen Qualitätskino!“ (Die Zeit, 27.4.12), ein Zitat mit dem Reichart ihn konfrontierte. Graf, dessen „Texte zum Film“ Michael Althen 2009 in dem Buch „Schläft ein Lied in allen Dingen“ sammelte: „Na gut, der ‚Qualitätsfilm‘, das habe ich ja aus der Nouvelle Vague geklaut. Das absolute ‚rote Tuch‘ für die waren ihre Vorgänger mit dem sogenannten cinéma de qualité, das fast noch aus dem Vichy-Kino herüberragte in die 40er Jahre und dort noch die Kassen füllte mit gediegenen Literaturverfilmungen, sattsam bekannten Stars, immer wieder in denselben Rollen und so.“


„Verarmung in der Filmkultur“

Die deutsche Film-Misere

In Deutschland sei das Kino heute natürlich nicht mehr bestimmten Generationen zuzuordnen. Aber:

„Die Kinokrise hat den Staat gezwungen, sich immer weiter in die Medienwirtschaft einzumischen. Und durch diese Einmischung des Staates, der ja das Gute, das ‚Qualitätsvorbild‘, das, was man auch vor dem Steuerzahler rechtfertigen kann, vorzeigen will, das sorgt natürlich dafür, dass dieses Filmland seit 1990 immer mehr in so eine Mediokrität abrutscht. Wir haben auch das Gediegene jetzt wieder, wir haben unsere bekannten Gesichter, die halbwegs funktionieren – richtiges Starkino haben wir ja nicht, aber geht schon – und wir haben natürlich auch diese ganz vielen Filmhochschulen, knallvoll jedes Jahr mit hundert Regieschülern, die in eine Medienbranche entlassen werden, die nach und nach immer kleiner wird. Die Fernsehgelder werden weniger, die Fördergelder werden weniger, wie soll das gehen? Die Filmhochschüler, die eine Karriere erwarten und auch originell sein wollen, auch auf ihr Recht pochen, sich zu äußern, treffen auf ein Nadelöhr, das so eng ist, dass sie sich quasi krumm machen müssen – um nicht zu sagen: sie müssen ‚buckeln‘ – um da durchzukommen. Das ist genau das, was das System so fatal macht.“ Ihnen werde dann angetragen: „Du mach mal ‘ne möglichst gute Til-Schweiger-Komödie, mach ‘n tollen ‚Tatort‘, dann sehen wir mal weiter.“ Fast niemand bewege sich mehr „außerhalb des Systems“, das „multiple Bedeutungslosigkeit“ hervorbringe.

Die Berliner Schule sei eine Art „Aufstand gegen das Förderkino gewesen“, sie sei aber als internationale Bewegung innerhalb der Branche schwer umstritten. „Jedes Jahr, wenn die Akademiepreise vergeben werden: Filme der Berliner Schule kriegen nie was. Trotzdem ist es der letzte Fitzel Weltruhm, den der deutsche Film noch hat.“ Die in großer Menge produzierten kleinen Filme, die herauskämen, hätten für den normalen Zuschauer „alle denselben Anschein. Die haben ähnliche Plakate und Titel, sind alle nicht besonders teuer, und meistens, äh, spielt Lars Eidinger mit.“ (Publikum lacht.)


„In jedem dieser Kanons sind entsetzliche Verbrechen enthalten“

Fördern geht, fordern geht nicht

Was erzählt Graf in so einem Klima den Studenten? „Ich hatte als Student das Gefühl, dass einem mit Ausnahme eines einzigen Dozenten immer alle etwas sagen wollen, was mit dem, was man vorhat, eigentlich gar nichts zu tun hat.“ Studenten mit einem Plan würde er nicht entmutigen. „Ich muss als Lehrer ihm helfen, das zu finden und das zu schaffen, was er will.“ Er habe den Eindruck, es werde im Filmschulen noch zu viel Ideologie „aufgetrichtert“. Er halte bei künstlerischen Individuen ein „Trial-and-Error-Verfahren“ für angemessener. Passend dazu äußert er sich auch abwertend über die vielen Filmkanons: „In jedem dieser Kanons sind entsetzliche Verbrechen enthalten“, während „Tausende“ Filme fehlen würden.

Filmförderung und öffentlich-rechtliches System

Reichart stimmte früheren Äußerungen Grafs zum verlorenen Genrefilm zu, allerdings stellte Graf fest, dass es langsam wieder mehr würden, wie die „Genrenale“ auf der Berlinale gezeigt habe. „Tatsache ist aber, dass die gesamte Filmförderung sich mit Genres sehr, sehr schwer tut. ‚Genre, das ist der ‚Tatort‘, das ist Fernsehen, das müssen wir nicht fördern. Wir fördern wichtige Filme.‘“ Dabei habe etwa das Fantasygenre in den 20er Jahren den deutschen Film sehr geprägt. „Dass das so völlig verlorengegangen ist, so ab den 90ern, hat sicherlich mit dem Wunsch nach einem ‚normalen‘ Kino zu tun, das in diesem System steckt; die Angst vor etwas, was außer Kontrolle gerät. Genre ist nur dann wirklich gut – Thriller, Action, Horror, was auch immer –, wenn es außer Kontrolle gerät, wenn es das außer Kontrolle Geratene als spannende Bedrohung der Figuren oder als eine Walze von Unerwartetem [einsetzt].“ Er führte sein Lieblingszitat von Nicolas Roeg (aus dem Audiokommentar zu „Wenn die Gondeln Trauer tragen“) an: „Even the unexpected must not be expected.“ Auch der „Tatort“ werde immer mehr zum „Erwarteten“ wie „das Bier, das ich jetzt aufmache, von dem ich hoffe, dass es so schmeckt, wie es soll, und wenn es nicht so schmeckt, dann werde ich sauer. Inzwischen kann man sich auch darüber äußern, und dann hat das auch Rückwirkungen in den Fernsehanstalten. Und so einen ‚Tatort‘ oder ‚Polizeiruf‘ wird es dann auch nicht mehr geben.“ Er nannte als Beispiel Blogger.

Grafs Wechseln zwischen Bemerkungen über Kino und über Fernsehen erklärt sich so, dass Kinofilme in Deutschland meist nur mit finanzieller Beteiligung öffentlich-rechtlicher Sender entstehen können, so auch die von Graf. „Wenn die Anarchie aus den Filmen quasi ‚rausgefördert‘ wird, so als würde man das langsam durchsieben, und am Ende ist gar nichts mehr an Unerwartetem drin, nicht einmal das Unerwartete, das nicht erwartet wird, dann ist auch eine unheimliche Verarmung in einer Filmkultur festzustellen.“


„Die betreiben Rechenspiele“

Verbrechen an „Im Angesicht des Verbrechens“?

Reichart vermutete, dass der legendär auf späten Plätzen versendete Zehnteiler „Im Angesicht des Verbrechens“ wohl ein gutes Beispiel dafür sei, wie Graf das Unerwartete doch ins Fernsehen schmuggele, aber „da Fernsehen am Ende irgendwie ein bisschen unglücklich war, weil‘s zu wenig Zuschauer geguckt haben, und da haben die sicher zu Ihnen gesagt: ‚Da hast du übertrieben.‘“ Für Graf war das Anlass, über die Strukturen bei den Sendern zu sprechen. Mit Autor, Produzent und Redakteur sei man sich „vollkommen eins, was man will, da geht’s ja bis zum letzten Federstrich an dem Buch, bis zum letzten Schnitt.“ Für alle Redakteure gelte, dass sie mit Regisseur und Autor „vollkommen auf einer Schiene“ seien. „Das Problem liegt immer in den höheren Etagen dieses Molochs des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.“ Bei „Im Angesicht des Verbrechten“ habe man nicht gewusst wohin damit. Auch hätten nicht alle Folgen um 21:45 Uhr gezeigt werden können, weil manche erst ab 16 Jahren freigegeben waren. „Das hing mit einer Ungeschicklichkeit zusammen, weil man die DVDs so schnell auf dem Markt bringen wollte.“ Durch wechselnde Sendeplätze – „oder vielleicht waren auch die Filme so langweilig“ – sei das Interesse zurückgegangen. Der Programmdirektor habe dann entscheiden, die letzten drei Folgen an einem Abend zu senden, „was bedeutete, dass die letzte Folge um 1 Uhr 20 begann.“ Auf Grafs Beschwerde hin habe der Programmdirektor gesagt, dass die 70.000 Zuschauer um die Zeit einen guten Marktanteil bedeutet hätten. „Er hat aus seiner Sicht alles richtig gemacht.“ Man befasse sich mit Zahlen, mit denen man sich dann vor höheren Stellen rechtfertigen könne.

Achtung bei Kompromissen

Graf habe aber nie erlebt, dass Redakteure Filme kaputtgemacht hätten. „Niemand hat versucht, auf einen Film per Order irgendwie Einfluss zu nehmen. Wer das schon versucht hat, sind die anderen Ecken.“ Reichart als ehemaliger Redakteur stimmte zu, dass Journalisten da manche Strukturen nicht richtig erfassen würden. Graf sprach mehrfach von den Leistungen der Autoren und wie es manchmal nur darum ginge, die Drehbücher vor Geld- und Zeitsparmaßnahmen zu schützen. „Man muss aufpassen, dass einem die Dinge, die einen Film filmisch machen, nicht unversehens unterm Arsch weggezogen werden.“


Moderator Wilfried Reichart, Dominik Graf und Journalistin Jessica Düster von der filmsociety

DVDs und Flachildschirme

An anderer Stelle erwähnte er, dass das Fernsehen ältere (und oft bessere) Produktionen, bei denen man sich erst um Rechtliches kümmern müsse, nur ungern wiederhole und lieber auf DVD herausbringe, um sie los zu werden. „Dann sollen die Leute sich das kaufen, was ich immer komisch finde. Ich zahl‘ jetzt auch seit 50 Jahren Gebühren, wieso muss ich mir das eigentlich alles kaufen, was ich bezahlt habe?“ Die Folge des Ganzen sei, dass die Sender so „wahnsinnig viel Neues“ machen müssten, um sich selber zu legitimieren. Besucher des Abends wurden auch Zeuge, wie Graf den angeblich schlechten Ton einer seiner Filme verteidigte; ihn regt der undifferenzierte „Mixdown“ von Flachbildschirmen auf, die von „aufgeplusterten Tonabteilungen“ der Sender überflüssigerweise mit 5.1-Surroundsound beliefert würden, obwohl auch normaler Stereoton vorläge. „Das was Sie hören hat nichts mit dem zu tun, was wir mit viel Mühe und mit viel Zeit mischen. Das Fernsehen weiß das.“ Nach vielen Beschwerden von Zuschauern habe man es kürzlich endlich zugeben müssen.

Reifeprüfungen

Über den Beginn seiner Karriere sagte Graf, er sei von seinen frühen Filmen arg enttäuscht gewesen und habe dann versucht, Filme zu machen, die er selber gern sehen würde. „Dann kam so ein Angebot der Bavaria-Vorabendserienabteilung, damals bestehend aus einem revolutionären Kader, die eine neue Polizeiserie plante, die ganz anders sein sollte als alle bisherigen deutschen Serien. ‚Der Fahnder‘ war meine Riesenchance, mir selber bei meinen ersten drei Folgen zu beweisen, dass ich etwas kann, was ich dann hinterher auch sehen würde.“ Er sei so zu einer Art Bavaria-Studioregisseur geworden und habe den Schimanski-Tatort „Schwarzes Wochenende“ gedreht, „den ich im Nachhinein immer noch sehr gut finde“, und den für damalige Verhältnisse großen Kriminalfilm „Die Katze“, den er „wie eine Reifeprüfung“ bestehen musste. Niemand habe einem damals beigebracht, wie man etwa Verfolgungsjagden oder Schlägereien filmt. Deutschland sei auch kein attraktives Filmland gewesen: „Deutschland sah – tut’s ja heute immer noch – wie ein riesiges Verkehrsübungsgelände aus.“ Als Regisseur musste man zusammen mit den Kameraleuten in den Städten eine „Dichte“ herstellen, die die Architektur nicht habe, um die Filme ein wenig internationaler wirken zu lassen.

Während des gesamten Gesprächs bewahrheitete sich, was Dominik Graf einmal über Andrzej Wajda schrieb: „Nie stellt er sich in den Vordergrund, immer erwähnt er den Anteil der anderen an seinen Filmen“ – Ausstatter, Kameraleute oder Redakteure wie Frank Tönsmann inbegriffen. Dem klugen und wachen Geist mit seinem Enthusiasmus für gut gemachte Filme und Serien dürfte auch in den nächsten Jahren einiges zuzutrauen sein. Zum Abschluss überreichte Wilfried Reichart ein Geschenk und erinnerte an Grafs Vater Robert, den Schauspieler, dessen Film „‚Jonas‘ mit ein Grund war, dass ich mich für Kino und Film interessiert habe“. Die Reihe „Rendezvous mit …“ der filmsociety im KunstSalon ermöglicht Mitgliedern und Interessierten jedes Jahr eine Begegnung mit einer deutschen Filmpersönlichkeit im Rahmen von Sonderscreenings. Jessica Düster, die im Januar die Leitung der filmsociety von Margot Schmidt-Reichart übernommen hat, die den Graf-Abend noch organisierte, plant für dieses Jahr ein weiteres Rendezvous.

Text/Fotos: Jan Schliecker

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