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Reconstruction
Dänemark 2003, Laufzeit: 88 Min.
Regie: Christoffer Boe
Darsteller: Nicolaj Lie Kaas, Maria Bonnevie, Nicolas Bro, Peter Steen, Ida Dwinger Malene Schwartz, Isabella Miehe-Renard, Klaus Mulbjerg

"Reconstruction" taucht in die Mitte des traumatischsten Moments menschlicher Existenz: das Versäumnis und der unendlich vergebliche Versuch, es rückgängig zu machen. Der Protagonist von "Reconstruction" will mit der Frau eines alternden Schriftstellers ein neues Leben beginnen und verliert plötzlich tatsächlich alles, was er hatte. Und die Frau dazu. Ein emotionaler Höhepunkts 2003 stellte die "Sémaine de la Critique" die beeindruckendste Programmreihe in Cannes. Und der hier noch einmal herausragende Film war Christoffer Boes "Reconstruction", ein vielschichtig angelegtes Werk, zirkelartig konstruiert um das entscheidende, versäumte Rendevous zwischen zwei Frischverliebten, die sich noch fremd sind, doch bereits beschlossen haben, ihr Leben radikal füreinander zu ändern und ihrer Liebe auf den ersten Blick alle Vergangenheit zu opfern. Die verborgene Ambivalenz dieses allseits erhofften und gleichzeitig doch barbarischen Begehrens wird von Boe unendlich aufgesplittert in zerfallende Fassetten. Einmal zu spät gekommen hastet der Protagonist der Chimäre eines Glücks hinterher, die medusenhafte Ausmaße annimmt. Nicht nur gewinnt er die Geliebte nicht zurück, er vermag nicht einmal mehr zur Wirklichkeit ihres Sich-Versprechens zurückzukehren. Sie ist fremd geworden, gehört zu einem Anderen. Keine Spur der Berührung ist zurück geblieben. Damit nicht genug, geht der Alptraum noch weiter und sämtliche Personen seines bisherigen Lebens sind nicht mehr erreichbar für ihn. Der verstörte Mann ist mit der absoluten Kehrseite, ein absolut neues Leben zu beginnen, konfrontiert: sein Altes hat sich ihm für immer entzogen. Boes legt weitere Deutungsebenen nahe, und der suchende Protagonist erscheint in erneuter Brechung als Spielball oder Double des älteren Schriftstellers, zu dem die von ihm begehrte Frau schließlich zurückkehrt. Derart wird er selbst auf der strukturellen Ebene der Eigentlichkeit seiner Existenz beraubt. Ist er eine pure Fiktion, ist er Kontrahent, ist er Katalysator? Boes Film zaubert ständig neue Hypothesen hervor. Die Unheimlichkeit des unendlichen Verlust der Geliebten, die schmerzende Unmittelbarkeit und Orientierungslosigkeit des Protagonisten – es gibt nur einen Film, der in dieser Intensität Pate gestanden haben könnte : Jean-Luc Godards "Die Verachtung" von 1963. Doch wir leben 40 Jahre später, und die Geschichte ist noch komplexer, in gewisser Weise kälter und struktureller geworden. Für solche Filme kehrt man gern zurück nach Cannes.

(Dieter Wieczorek)

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