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Tocotronic
Foto: © Michael Petersohn

Endlich Unendlich

15. März 2018

Tocotronic im E-Werk – Konzert 03/18

Mit dem Titelsong ihres neuen Albums „Die Unendlichkeit“ eröffneten die vier Jungs von Tocotronic am Dienstagabend ihren Kölnbesuch auf der gleichnamigen Tour. Weiter ging’s mit den Hymnen „Electric Guitar“ und „Let There Be Rock“. Dirk, Jan, Arne und Rick scheinen Meister der ewigen Jugend zu sein. Oder zumindest charmant zu altern. Sie sind längst keine Teenies mehr, aber immer noch Kinder. Immer noch alles hinterfragend, anprangernd, sich freistrampelnd. Die Diskursrocker präsentieren sich als weiche Kerne in weichen Schalen, wiegend zur Gitarrenriffmusik. Melancholie statt Moshpit lautete die Devise.

Das E-Werk ist gut gefüllt, der Sound wie gewohnt durchdringend, rockig bis klassisch. Vier Akkorde reichen aus, um die Hallen des ehemaligen Elektrizitätswerk zum knistern zu bringen. Bei Liedern wie „Explosion“ baut sich eine Schallwand auf, die über das Publikum hinweg schwappt, das ebenso casual daherkam wie die Künstler selbst: voll normal und voll sympathisch. Liebevoller kann man nicht als „Freak“ bezeichnet werden. So eine Wohlfühlatmosphäre ermutigt dazu, die Ansagen zu kommentieren, Leuchtluftballons bouncen zu lassen, die Augen zu schließen.


Tocotronic im E-Werk, Foto: Nele Beckmann

Wenn ein Leben ein ganzes Universum ist, dann sind die Fans zu Besuch im Planetarium. Als Reisende durch tocotronische Galaxien. Nicht nur die Sternenwand, auf die der Schatten der Diskokugel eine doppelte Mondfinsternis wirft, erweckt den Eindruck einer Fahrt durch Raum und Zeit. Autobiografisch erzählen die Songs des zwölften Studioalbums Leadsänger Dirk von Lowtzows Lebensgeschichte in 12 Kapiteln. Und damit auch 25 Jahre Bandgeschichte. Das ist spannend, denn „es gibt kein Leben ohne Schande“. Nach anderthalbjähriger kreativer Konzeptpause haben sich die Hamburger der alten Schule musikalisch noch mehr gefestigt und neu erfunden. Wer im Zweifel für den Zweifel plädiert, ist immer zur Selbstverbesserung und Defragmentierung angehalten. Die Themen der Tour sind ein Mash-up aus remastertem Gedankengut von einst und aktuelleren Hirnknoten. In „Hey du“ wird sich Luft gemacht über das Ärgernis angeglotzt zu werden, nur weil man anders ist. In „Alles was ich immer wollte, war alles“ dringen erste Regungen einer womöglich einsetzenden Midlife Crisis durch und zu „1993“ lässt sich erahnen, was für eine Befreiung es für Dirk darstellte aus der Provinz in die Stadt zu ziehen, die „das Tor zur Welt“ genannt wird.

„Die Unendlichkeit“ stieg bei ihrem Erscheinen Ende Januar direkt auf Platz 1 der deutschen Albumcharts ein und wird als das intensivste, persönlichste Album der Band erlebt. Das mag sein – Erfolgsgarant ist allerdings auch, dass sich die beschriebenen Krisen und hohen Momente so ausgezeichnet nachfühlen lassen. Das Glück im Anderen, die Isolation des Einzelnen, das sind kollektive, zeitlose Erfahrungen, wenn auf vergangene Jahre zurückgeblickt wird. Für die Unterstützung und Treue bedanken sich Tocotronic ausgiebig bei ihrer Fangemeinschaft. „Eine Ehre, eine Freude und ein Pläsier“ ist es ihnen, für sie auf der Bühne zu stehen.

Was auf Platte oder CD am neuen Album poppig und schmusig daherkommt, klingt live gleich viel rockiger. Nicht unbedingt nach Pogo, eher nach Knutschen – besonders wenn das Geschredder so orchestral daher kommt wie an diesem Abend. Das funktioniert nicht nur bei den neuen Songs, sondern besonders gut bei Bekanntem wie „Kapitulation“ oder „Aber hier leben, nein danke“. Alle Hits wurden dann aber doch nicht gespielt. Nun ja, wie auch, wenn Tocotronic den Soundtrack einer ganzen Generation liefert.

Nele Beckmann

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