Man kann Geschichte von oben und man kann sie von unten schreiben. Im Theater haben beide Verfahren ähnliche Folgen: Ob Täter oder Opfer, Herrschende oder Beherrschte, beide begegnen sich als bürgerliche Subjekte auf Augenhöhe – was so unwahr wie real ist.
Am Theater Bonn untersucht Regisseurin Sandra Strunz, was es heißt, als Arbeiterehepaar während des Nationalsozialismus Widerstand zu leisten. Nicht im Kollektiv, sondern individuell. Das Paar Otto und Anna Quangel in Hans Falladas Roman „Jeder stirbt für sich allein“ schreiben nach Feierabend Postkarten gegen Hitler und verteilen sie in Berlin. Der Nationalsozialismus ist auf seinem Höhepunkt, die Feldzüge gegen Polen, Frankreich und die Beneluxländer waren erfolgreich, noch hat der Krieg gegen die Sowjetunion nicht begonnen. Während um sie herum der Taumel der Begeisterung, aber auch das Denunziantentum und der Argwohn wuchern, verweigert sich das Paar Quangel. Aus einer ganz privaten Entscheidung heraus, machen sie nicht mit, schwimmen gegen den Strom und sind so mit sich im Reinen.
In der Orangerie holt das Theater 1000 Hertz um Regisseurin Christina Vayhinger dagegen die großen Feldherren auf die Bühne. „Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet“, fragt Danton in Büchners Drama „Dantons Tod“, um den archimedischen Punkt der Aggression zu bestimmen. Ähnlich reagierte später auch Sigmund Freud und sprach von einem Trieb, der nicht zu zivilisieren sei. „Der Kriegsherr“ lässt die großen Heerführer von Alexander über Napoleon, Katharina II. bis zu amerikanischen Bürgerkriegsgenerälen wie Ulysses S. Grant oder Robert E. Lee aufmarschieren und befragt sie nach den Gründen für die angezettelten Kriege. Vielleicht sind die vielbeschworenen Zivilisierungsprozesse letztlich nur das Feigenblatt für eine aggressive anthropologische Konstante, gegen die nichts zu machen ist.
Gibt es einen Gott? Ja, aber Gott ist tot. So heißt es in Woody Allens früher Farce „Gott“, die das Schauspiel Köln auf die Bühne bringt. Da der Regisseur Moritz Sostmann heißt, werden sowohl Schauspieler als auch Puppen zum Einsatz kommen. Was das wiederum für ein Stück bedeutet, das ständig die Ebenen von Realität und Fiktion wechselt, kann man sich unschwer vorstellen. Die beiden Schauspieler Hepatitis und Diabetes stellen beim Dramenwettbewerb im antiken Athen, der mit einer Kiste Ouzo dotiert ist, ihr neues Stück vor. Doch ihrem Machwerk fehlt der Schluss, also entscheiden sie sich für einen „deus ex machina“, also ein Ende, bei dem Gott als Problemlöser einschwebt. Dumm nur, dass die Bühnenmaschine völlig außer Kontrolle gerät und Zeus sich stranguliert. Gott ist also tot und Realität und Fiktion lassen sich sowieso kaum noch unterscheiden. Stellt sich aber trotzdem die philosophische Frage, bei Puppen, Schauspieler und Regisseuren erst recht, wer denn nun eigentlich wessen Strippen zieht.
„Jeder stirbt für sich allein“ | 22.3.(P) 19.30 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
„Der Kriegsherr“ | R: Christina Vayhinger | 22.-24.3. 20 Uhr, 25.3. 18 Uhr | Orangerie | 0221 952 27 08
„Gott“ | R: Moritz Sostmann | 13.4.(P) | Schauspiel Köln | 0221 221 284 00
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