Dass das Theater politisch geworden sei, weiß inzwischen sogar der Boulevard. Das Problem der Kunst scheint jedoch weniger, ob sie sich einmischt, sondern wie sie es tut. Das Trauma der Impotenz des politischen Theaters, aber auch der Rechtfertigungszwang für die, die sich raushalten, lauern an jeder Ecke. Doch der Verschleiß ist enorm: Infotainment-Abende, Wikipedia-Dokumentarismus oder pseudoaktivistische Aufrufe sind Legion. Die neue Ausgabe des Impulse-Festivals spricht deshalb von einer „Suchbewegung“ der eingeladenen Gruppen. Einer Suche nach Formen des politischen Theaters, dem es ja nicht an Konflikten fehlt – im Gegenteil, sondern an einer Gewissheit über die dramaturgische Verarbeitung des Realen und damit letztlich auch das Engagement.
Dass das Team um Florian Malzacher zahlreiche alte Haudegen des Freien Theaters eingeladen und auch sie unter die flächendeckend konstatierte Suchbewegung subsumiert, gibt zu denken. Mit dabei ist Daniel Wetzel von Rimini Protokoll mit „Evros Walk Water“. Ein partizipatives Stück, das eine Komposition von John Cage mit den Berichten von 15 geflüchteten Kindern verschiedener Nationalität verschneidet, die in einem Haus in Athen gestrandet sind. Ein Re-Enactement in doppeltem Sinne, weil die Zuschauer von den jungen Flüchtlingen nicht nur deren Geschichten hören, sondern Anweisungen, wie sie das Stück von Cage zu spielen sei. Das Duo Gintersdorfer/Klaßen dagegen reißt wie gewohnt mit einem ivorisch-deutschen Ensemble an und untersucht anhand von Botschafter-Figuren der vergangenen Jahre die bis heute wirksamen kolonialen Muster, die nicht nur die Politik, sondern vermutlich auch unser Denken beherrschen. Keine Newcomer auf der Planche des politische Theaters sind auch die Mitglieder von She She Pop. Sie untersuchen in „50 Grades of Shame“ anhand des Bestseller von E.L. James bzw. dessen Titel und Texten aus Wedekinds Klassiker „Frühlings Erwachen“ die Scham-, Moral- und Tabugrenzen unserer westlichen Gesellschaft.
Kunst, die sich engagiert, droht letztlich immer, ihre Autonomie zu verlieren. Umso mehr, wenn es sich dabei um eine hochartifiziellen Kunstform wie den modernen Tanz handelt, der dann auch noch vom Krieg erzählen will. Ein Problem, dem sich die Costa Compagnie mit ihrer Produktion „Conversion / Nach Afghanistan“ stellt. Mitglieder der Truppen reisten kurz von Ende des ISAF-Einsatz an den Hindukusch und machten Interviews mit Bewohnern, Soldaten, Botschaftern, Journalisten und kombinieren das dokumentarische Material mit chorografischen Mitteln. Dass man dagegen auch einfach mal Anleihen bei anderen hochentwickelten Überzeugungstätern machen kann, zeigt Boris Nikitin in „Martin Luther Propagandastück“. Die Form der Predigt und der theologische Diskurs selbst dienen als Folie, um sich über Fragen der ultimativen Hingabe klar zu werden. Ob die Kunst damit der derzeitigen Übermacht des Realen beikommt, lässt sich an zehn Tagen im Juni überprüfen.
Impulse Theater Festival | 15.-25.6. | Düsseldorf, Mülheim/Ruhr, Köln | www.festivalimpulse.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Mit allen Wassern gewaschen
Franziska Werner wird neue Leiterin des Festivals Impulse – Theater in NRW 07/24
„Brisante politische Inhalte, lustvoll präsentiert“
Leiter Haiko Pfost über das Impulse Theaterfestival 2024 in Köln, Düsseldorf und Mülheim a. d. Ruhr – Premiere 05/24
„Das Theater muss sich komplexen Themen stellen“
Haiko Pfost über das Impulse Theaterfestival 2023 – Interview 06/23
Auf Tote anstoßen
Das Impulse Theater Festival in NRW und WWW – Festival 06/20
„Es fehlt die Gefahr“
Haiko Pfost über das digitale Impulse Theater Festival – Premiere 06/20
Blind Sex-Date
Mittendrin: Angstraum Köln beim Impulse Theaterfestival – Spezial 06/19
Frisches Brot von der freien Szene
Das Impulse Theater Festival – Bühne 06/19
„Wir können eigentlich nichts mehr dramatisieren“
Haiko Pfost vor seinem zweiten Impulse Theater Festival – Premiere 06/19
Körperlichkeit und Konfrontation
Das Impulse Festival 2018 – Tanz an der Ruhr 06/18
Wer ist Gertraud Stock – und wenn ja, wieviele?
Impulse: „Die Erfindung der Gertraud Stock“ von vorschlag:hammer – Bühne 06/17
Von der Not des Entscheidens
Theaterfestival Impulse in Köln, Mülheim und Düsseldorf
Entscheide oder stirb!
Das Impulse Festival in Mülheim, Düsseldorf und Köln – Prolog 06/17
Klamauk und Trauer
„Die Brüder Löwenherz“ in Bonn – Theater am Rhein 01/25
Schussbereite Romantik
„Der Reichsbürger“ in der Kölner Innenstadt – Auftritt 01/25
Ein Bild von einem Mann
„Nachtland“ am Theater Tiefrot – Theater am Rhein 12/24
Fluch der Stille
„Ruhestörung“ am TdK – Theater am Rhein 12/24
Im Land der Täter
„Fremd“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 12/24
Freude und Bedrückung
35. Vergabe der Kölner Tanz- und Theaterpreise in der SK Stiftung Kultur – Bühne 12/24
Das Mensch
„Are you human“ am TiB – Theater am Rhein 12/24
Vererbte Traumata
Stück über das Thiaroye-Massaker am Schauspiel Köln – Prolog 12/24
„Andere Realitäten schaffen“
Dramaturg Tim Mrosek über „Kaputt“ am Comedia Theater – Premiere 12/24
Lang lebe das Nichts
„Der König stirbt“ am Schauspiel Köln – Auftritt 12/24
Tanzen gegen Rassentrennung
„Hairspray“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 11/24
Biografie eines Geistes
„Angriffe auf Anne“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 11/24
Selbsterwählte Höllen
„Posthuman Condition“ am FWT – Theater am Rhein 11/24