choices: Frau Moritz, was raten Sie Familien, die ihr Kind auf die erste Monatsblutung vorbereiten?
Anja Moritz: Wichtig ist, dass Familien tatsächlich auch die Verantwortung für dieses Thema – die erste Blutung oder generell das Thema Menstruation – bei ihren Kindern wahrnehmen. Wir haben inzwischen eine starke Auslagerung der Sexualaufklärung in den Schulbereich, was dazu führt, dass es auch zuhause wenig thematisiert wird. Wenn Kinder dann ihre erste Menstruation bekommen, hat das Thema bis dahin zuhause vielleicht überhaupt noch nicht stattgefunden. D.h., die Herausforderung für Eltern ist es, frühzeitig, aber auch nicht zu früh – das ist dann ein bisschen Fingerspitzengefühl – zu sehen, wie weit mein Kind für das Thema aufnahmebereit ist. Es gibt Kinder, die da sehr offen sind. Es gibt aber auch welche, die auch in frühen Jahren schon sehr verschämt sind. Das Beste und Wichtigste, was Eltern machen können, ist, gesprächsbereit zu sein und ihren Kindern zu signalisieren: Ich bin auch bei diesem Thema für dich da.
„Ich rate, auf eine kleine Forschertour zu gehen“
Und darauf vorzubereiten ...
Wenn die Kinder gesprächsbereit sind, dann kann man gemeinsam mit ihnen in die Drogerie gehen und dort schauen, was es alles im Regal gibt: Von Binden über Tampons bis hin zu Menstruationstassen und -slips. Manche Dinge sind auch ganz hübsch aufbereitet. Ich rate, einfach auf so eine kleine Forschertour zu gehen – vielleicht auch erstmal mit einer Freundin – und sich da schon mit diversen Möglichkeiten zu versehen. Damit das Kind versorgt ist, wenn die erste Menstruation kommt. In der Regel werden ja am Anfang Damenbinden benutzt. Da kann man sich eine erste Auswahl kaufen – mit Flügel, ohne Flügel, kleine, lange, dicke, dünne. Wenn sie sich schon dafür interessieren, kann man auch ein paar Tampons mitnehmen – die ganz kleinen für den Einstieg – auch mal eine Tasse oder Periodenslips, um das einfach auch mal in die Hand nehmen zu können.
Was kommt auf den Körper zu?
Die Periode verläuft letztendlich von Mädchen zu Mädchen, von Frau zu Frau ganz unterschiedlich. Allein dieser 28-Tage-Zyklus ist eine Erfindung der pharmazeutischen Industrie: Denn als die Pille hergestellt wurde, musste man sich darauf einigen, wie groß so eine Packung sein soll. Wie lang die Tage dauern und ob sie mit Schmerzen kommen oder ohne, kann man im Vorfeld nicht wissen. Da gibt's einfach eine ganz breite Spanne. Wenn es relativ schmerzfrei und unkompliziert ist, dann ist es wunderbar – einfach ein neues Erleben. Für manche vielleicht auch erst mal ein sehr erschreckendes, wenn sie nicht vorbereitet sind. Aber bestenfalls keins, das mit Schmerz behaftet ist.
Zu welchen Schmerzen kann es kommen?
Es kann einfach ein Ziehen im Unterleib oder auch ein bisschen Rückenschmerz sein. Auch stärkere Schmerzen sind möglich, primär sind es aber Schmerzen im Unterleib.
„Viele legen Wert darauf, natürliche Produkte zu benutzen“
Wie weiß ich denn, welche Utensilien für mich gut geeignet sind?
Ganz klar ausprobieren. Jeder findet einfach unterschiedliche Sachen gut. Es hängt auch davon ab, wie stark die Blutung ist. Bei einer stärkeren Blutung sollte man eben etwas kräftigere Binden mit Flügeln nehmen. Bei einer leichteren zum Ende der Periode reicht manchmal auch einfach eine Slip-Einlage aus. Das sind Erfahrungen, die am Anfang gesammelt werden, um dann wirklich zu schauen, womit man gut zurecht kommt. Auch auf welche Qualität bei der Monatshygiene gesetzt wird, ist ganz unterschiedlich. Viele legen Wert darauf, natürliche Produkte zu benutzen – bestenfalls ohne Parfum und sonstige Zusatzstoffe.
„Dieses Zutrauen ist nicht von Anfang an da“
Menstruationstassen sind eher geeignet, wenn man bereits einige Erfahrungen mit der eigenen Menstruation hat?
Ja, ein Stück weit schon, genau wie Tampons. Es ist ja so, dass sich die Genitalien mit beginnender Menstruation erst anfangen zu verändern: Beispielsweise wachsen die inneren Schamlippen. Dieses Zutrauen, sich ein Objekt, einen Tampon oder eine Tasse, in die Vagina einzuführen, ist nicht von Anfang an da. Das muss geübt werden und fordert auch ein Stück weit Überwindung. Da hilft es, sich die Anleitung durchzulesen, vielleicht auch mal mit einer Freundin auszutauschen oder es gemeinsam zu probieren. Bei den wenigsten klappt es am Anfang. Es sind dann schon eher die etwas älteren, die es nutzen.
Wer die Menstruationstasse nutzt, muss auch Blut sehen können?
Ja, ganz eindeutig. Man sieht bei jeder Monatsblutung sein Blut, sei es in der Binde oder im Tampon oder eben in der Tasse. Menstruationstassen sind da aber noch mal direkter, weil wir da tatsächlich unmittelbar mit der Flüssigkeit in der Tasse und auch der Konsistenz des Menstruationsblutes konfrontiert werden. Das ist schon noch mal eine andere Wahrnehmung.
„Es ist eher die Zeit, sich ein Stück weit zurückzunehmen“
Welche Mittel können Menstruationsschmerzen lindern?
Die meisten erfahren Erleichterung einfach durch Wärme. Indem sie sich eine Wärmflasche machen und sie sich auf den Bauch legen. Die Wärmflasche wirkt krampflösend, was dann auch gut gegen die Schmerzen hilft. Es ist eher die Zeit, sich ein Stück weit zurückzunehmen – sich auszuruhen, ins Bett oder aufs Sofa zu legen und ein bisschen Musik zu hören. Auch eine warme Dusche oder oder ein warmes Bad zu nehmen kann hilfreich sein. Für sich aber zu akzeptieren, dass man während der Menstruation eben nicht zu hundert Prozent leistungsfähig ist, fällt vielen immer noch schwer.
Warum ist das so?
Das hängt einfach damit zusammen, dass die Menstruation nach wie vor ein Tabu in unserer Gesellschaft ist, das wir unbedingt aufbrechen müssen. Kinder stehen bereits in der Schule unter großem Druck leisten zu müssen, egal wie gut oder schlecht es ihnen geht. Gerade im Kontext Menstruation ist es wichtig, jungen Menschen einfach von Anfang an mitzugeben: Wenn es dir nicht gut geht, dann ist es legitim, dich zurückzuziehen. Was vielen auch hilft, ist tatsächlich sich einfach abzulenken, also mit einer Freundin zu telefonieren oder, wenn die Beschwerden es zulassen, vielleicht auch gemeinsam spazieren zu gehen oder leichten Sport zu machen.
„Ein Tabu in unserer Gesellschaft“
Helfen auch Naturheilkunde oder Akupunktur?
Akupunktur ist abhängig davon, wie stark die Schmerzen sind. Bei jungen Mädchen muss man da sehr genau schauen. Gynäkolog:innen bieten nur sehr selten Akupunktur an und wenn, dann ist es oft keine Kassenleistung. Was wir auf natürlichem Wege machen können: Diverse Kräutertees wie etwa Schafgarbe oder Frauenmantel haben eine entkrampfende Wirkung. Sie wirken sich positiv auf die Schmerzen aus – also so, dass die Schmerzen ein bisschen weniger werden. Man kann sie in Bioqualität in der Apotheke besorgen. Es gibt sie auch im normalen Supermarkt oder in der Drogerie.
Sehr heftige Schmerzen können auf eine Endometriose hindeuten. Was raten Sie dann?
Was wir anraten, wenn die Schmerzen so stark sind, dass sie den Alltag beeinflussen, ist tatsächlich der Besuch bei einer Gynäkologin oder einem Gynäkologen. Es gibt auch ausgebildete oder qualifizierte Kinder- und Jugend-Gynäkolog:innen, d.h. spezialisiert auf die Behandlung von jungen Menschen. Sie bieten Mädchen-Sprechstunden an, in denen auch noch mal besonders auf die Bedürfnisse eingegangen wird. Dabei gibt es ein erstes Kennenlernen und die Räumlichkeiten, in denen die Untersuchungen stattfinden, können angeschaut werden. Welche Beschwerden da sind, lässt sich dann auch schildern. Mit der Ärztin oder dem Arzt wird dann ganz genau abgesprochen, was man tun kann. Also, ob vielleicht eine gynäkologische Untersuchung angezeigt ist, Medikamente gegeben werden, ob hier Schmerzmedikamente angeraten sind oder man mit einer Pille versucht, Einfluss auf die Beschwerden zu nehmen. Der erste Besuch beim Frauenarzt oder der Frauenärztin ist ja auch etwas ganz Aufregendes. Es kann helfen, sich auf den Termin ein Stück weit innerlich vorzubereiten, damit es ein positives Erlebnis wird. Man kann Freundinnen fragen oder sich an die Eltern wenden, ob sie jemanden empfehlen können. Zu dem Besuch kann man entweder mit oder ohne die Eltern gehen oder auch eine Freundin oder einen Freund mitnehmen – gerade, wenn es vielleicht auch um das Thema Verhütung geht. Wenn man sich bei dem Arzt oder der Ärztin aber nicht wohl fühlt, sollte man es ansprechen und sich im Zweifel auch noch mal jemand anderen suchen. Gerade für eine so intime Situation ist es wichtig, jemanden zu finden, bei dem man sich gut aufgehoben fühlt.
„Wenn man sich bei dem Arzt oder der Ärztin nicht wohl fühlt, sollte man sich im Zweifel jemand anderen suchen“
Was ist eine Endometriose?
Bei Endometriose wächst Gewebe, das dem der Gebärmutterschleimhaut ähnlich ist, außerhalb der Gebärmutter, d.h. am Bauchfell und anderen Organen im Bauchraum. Diese sogenannten Endometrioseherde verhalten sich ähnlich wie die Gebärmutterschleimhaut. Sie bauen sich zyklisch auf und wieder ab und bluten dann auch ab. Wenn das in anderen Organen als der Gebärmutter stattfindet, kann das zu Entzündungen und zu Zysten führen, die dann diese extremen Schmerzen verursachen können, die ganz charakteristisch für eine Endometriose sind. Typische Beschwerden sind extremste Schmerzen, aber auch extrem starke Blutungen. Mit einer Endometriose gehen auch noch weitere vielfältige Beschwerden einher, zum Beispiel Verdauungsstörungen, Durchfall oder Verstopfung.
Diese Zellen außerhalb der Gebärmutter kommunizieren quasi mit ihr?
Das würde ich so nicht sagen: Sie verhalten sich ähnlich wie die Gebärmutterschleimhaut.
„Es braucht Forschung“
Was verursacht Endometriose?
Endometriose ist bislang medizinisch nicht grundlegend erforscht. D.h., wir wissen noch nicht genau, was die Ursachen dafür sind. Deshalb können wir auch noch nicht hundertprozentig sagen, wie eine Endometriose geheilt wird. Es braucht tatsächlich noch Forschung.
Es wird diskutiert, ob hormonell wirksame Stoffe aus Drogerieartikeln dafür verantwortlich sein könnten?
Ich bin keine Medizinerin, das muss ich an dieser Stelle eingrenzend sagen. Doch da die Endometriose als Krankheit schon zu den Zeiten eine Rolle spielte, als wir noch keine chemischen Produkte generell benutzt haben, sei es Seifen, Lotions oder Drogerieartikel anderer Natur, ist dieser Zusammenhang aus meiner Sicht keine hinreichende Erklärung.
Meine Meinung zu diesem Thema
DER GESCHMACK VON BLUT - Aktiv im Thema
profamilia.de/angebote-vor-ort/nordrhein-westfalen/beratungsstelle-koeln-zentrum/sexualpaedagogikyouthwork | Profamilia bietet sexualpädagogische Beratung für Jugendliche, Eltern und Institutionen an.
andheri-hilfe.de/informieren/gesundheit-ermoeglichen/tabu-menstruation-in-indien | Die in Bonn ansässige NGO Andheri Hilfe erklärt, welche Folgen das Menstruations-Tabu in Indien für die Betroffenen hat.
zukunftsinstitut.de/artikel/zukunftsreport/menstruation-wird-mainstream | Der Beitrag des Zukunftinstituts wägt ab, ob in Fragen der Menstruation nun endlich aufgeklärte Zeiten anbrechen.
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