Die Zeit der Pult-Tiger ist längst noch nicht vorbei! Und wenn eine Dirigierlegende wie Jorma Panula behauptet, dass Frauen nicht dirigieren sollten, und wenn, dann nur „weibliche Musik“, sorgt das immer noch für Aufruhr! Was der über 80-jährige berühmteste Dirigentenschmied mit seinem umstrittenen finnischen Fernsehauftritt 2014 auch bewirken wollte, die junge Finnin Dalia Stasevska hat er damit weder irritieren noch aufhalten können. Die Toscanini-Tage bleiben angezählt.
Mit Volldampf ist die 1984 in Kiew in eine Malerfamilie geborene Musikerin ins Dirigierfach eingestiegen. Seit ihrem fünften Lebensjahr lebt sie bereits in Finnland, wo sie zunächst ein Geigen- und Bratschenstudium absolvierte. Dirigieren lernte sie an der Royal Academy in Stockholm, ausgerechnet bei besagtem Jorma Panula. Der folgende Unterricht bei Leif Segerstam an der Sibelius-Akademie in Helsinki ist dazu wohl ein Korrektiv gewesen. Ihr Dirigierdiplom bekam sie mit Bestnote ausgehändigt. Und die Frau mit den ausdrucksstarken Händen und Gesten eroberte gleich im Anschluss die ersten Pulte in Lahti, Oslo, Bergen oder Helsinki. Die Finnen begriffen sofort: Esa-Pekka Salonen lud sie als seine Assistentin nach London und Los Angeles ein, Paavo Järvi zum Orchestre de Paris. Und an der Finnischen Nationaloper outete sich Dalia Stasevska in der Saison 2014/15 zudem als leidenschaftliche Operndirigentin mit einer Neuproduktion von Leos Janáčeks Oper „Das schlaue Füchslein“.
Dies sind Referenzen, mit denen die Anfang Dreißigjährige jetzt erstmals nach Köln reist. Am dritten Advent (17.12.) übernimmt sie das Familienkonzert mit dem Gürzenich-Orchester, ein Wunsch-Konzert. Bis Ende Oktober darf noch mitgewünscht werden (wunschzettel@guerzenich-orchester.de). Höhepunkt ist die Uraufführung einer „Wunschzettelgeschichte“ von Tobias Schwencke. Den Text von Andrea Karimé wird die Schauspielerin und Sängerin Salomé Kammer vortragen.
Das alljährliche Benefizkonzert am 1. Advent übernimmt die New Yorker Dirigentin Karina Canellakis. Drei Jahre älter als ihre finnische Kollegin eilt ihr bereits ein Ruf voraus. Ihre Einspringer für Nikolaus Harnoncourt beim Grazer Styriarte-Festival schlugen Wellen; vor allem die beiden Konzerte im Rahmen des von Harnoncourts geplanten Beethovenzyklus mit seinem Orchester Concentus Musicus.
Graz 2016: In einem Traditionssaal wie dem Stephaniensaal, postiert vor einem Traditionsorchester, lacht die blonde, freundliche Frau unbeschwert ins Publikum, dreht sich zu den Musikern um und demonstriert, dass sie mühelos ihre am Klang US-amerikanischer Orchester gestählte Ästhetik auf historische Instrumente zu übertragen weiß. Brillant, alles exakt poliert und ausdrucksstark. Sie hat auch keine Angst, das Orchester mal richtig brüllen zu lassen. In die Musik sei sie ja auch hineingefallen „wie Obelix in den Zaubertrank“, so Canellakis in einem Interview. Vater Dirigent, Mutter Pianistin, Bruder Cellist. Bevor sie an der Juilliard-School zum Dirigierstab greift, absolvierte sie erst einmal ein Geigenstudium am Curtis Institute of Music in Philadelphia. Und bestritt und bestand – spaßeshalber – auch Probespiele, wie beim Los Angeles Chamber Orchestra. Die Stelle tritt sie aber nicht an. Als sie von diesem Ensemble als Dirigentin für ein Vivaldi-Konzert engagiert wird, mischt sie sich spontan unter die Streicher und feuert ihr Team mit Violine und Bogen an! Beim International Contemporary Ensemble (ICE) New York, das sie inzwischen regelmäßig leitet, hat sie zunächst auch als Geigerin mitgewirkt. Übrigens ist sie als Geigerin auch schon in Deutschland gewesen. Als Akademistin der Berliner Philharmoniker spielte sie sogar im großen Orchester unter der Leitung von Simon Rattle. Wie auch immer Sir Simon aus dem Tutti heraus ihr Talent entdeckt haben mag, er sei es gewesen, der sie ermunterte, den Weg der Dirigentin einzuschlagen. Und inzwischen steht Karina Canellakis mit dem allmächtigen Stöckchen in der Hand souverän ihre Frau! 2016 wurde sie mit dem „Sir George Solti Conducting Award“ ausgezeichnet und durfte kurz darauf die Luxemburger Premiere von Sir Peter Maxwell Davies' Oper „The Hogboon“ dirigieren, eine Auftragsarbeit der Philharmonie, des Orchestre Philharmonique du Luxembourg und des London Symphony Orchestra. Am 5. September dieses Jahres leitet sie das BBC Symphony Orchestra und präsentiert als Solisten am Klavier ihren Landsmann Jeremy Denk bei den BBC Proms.
Am 3. Dezember kommt sie erstmals zum Gürzenich-Orchester nach Köln. Auch hier steht das Klavier im Vordergrund, mit Lars Vogt, der Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierkonzert KV 466 spielen wird. In Peter Tschaikowskys Sinfonie Nummer 1 darf Canellakis später Winterzauber entfalten. Sie zieht aber zum Auftakt erst einmal eine musikalische Visitenkarte aus ihrer Heimat: John Adams „The Chairman Dances“. Passt doch gut, dass eine Lady den Vorstandsvorsitzenden tanzen lässt!
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