„Iwanow ist erschöpft, er begreift sich selbst nicht, aber das Leben geht das nichts an. Es stellt ihm seine gesetzmäßigen Forderungen, und ob er will oder nicht, er muss die Fragen lösen.“ So beschreibt der Autor Anton Tschechow den Titelhelden seines ersten Stücks. Weder geht es das Leben etwas an, dass Iwanow seine schwindsüchtige Frau Anna nicht mehr liebt, noch dass er hoch verschuldet ist oder dass sich die erst 20-jährige Sascha an ihn hängt. Eigentlich hatte Tschechow sein Stück, das Robert Borgmann sozusagen als Weihnachtsschmankerl am Schauspiel Köln inszeniert, als Komödie geplant. Als es bei der Uraufführung floppte, arbeitet er es zum bitterbösen Drama um. Jetzt knallen sich alle – die Proleten, die Neureichen, die Geldgierigen und die Loser – schonungslos und desillusionierend die Wahrheit ins Gesicht und sei es ins eigene. Iwanow (Marek Harloff) ist gerade mal Mitte dreißig, hat seinen Lebenswillen komplett aufgebraucht und ist in einem schwarzen Loch der Antriebslosigkeit und des Zynismus versackt. Er flieht vor seiner kranken Frau zu seinem Freund Lebedew und bändelt dort mit dessen Tochter Sascha an. Als Anna stirbt, wäre der Weg eigentlich frei für einen Neuanfang. Doch er entzieht sich erneut und erschießt sich schließlich. Selbstmord ist auch eine Lösung.
Was Iwanow an Engagement zu wenig hat, hat der Regisseur Bruscon in Thomas Bernhards Komödie „Der Theatermacher“ zu viel. Er ist eine künstlerische Dampfmaschine, der das – seiner Meinung nach – angemessene theatrale Ventil fehlt und die deshalb in dem 280-Seelen-Kaff Utzbach gelandet ist. Mehr als die Bretterbühne im Gasthof „Schwarzer Hirsch“ steht ihm für seine vermeintlich gewaltige Menschheitskomödie „Das Rad der Geschichte“ nicht zur Verfügung. Bruscon ist einer der großen Besessenen, zugleich ein ewig Unzufriedener, der sich in eine endlose Wort-Suada hineinsteigert, die keinen Widerspruch zulässt. Bernhards Grantler sind Monomanen reinsten Wassers, die es mit allen alltäglichen Widrigkeiten aufnehmen müssen, die sich ihnen in den Weg stellen.
Dass Bruscon sein monumentales Opus mit seinen talentlosen Kindern als Schauspieler aufführen muss, ist eine Lappalie gegen das, was sonst noch auf ihn zukommt. Nicht nur haben sich alle Gewalten gegen ihn verschworen: Ein Gewitter droht in das Rad der Geschichte hemmend einzugreifen. Als weit größerer Feind aber entpuppt sich die örtliche, zutiefst kunstbanausische Feuerwehr. Weigert sie sich doch, die Notbeleuchtung auszuschalten und so das Stück ins rechte Licht der Dunkelheit zu rücken. Sebastian Kreyer setzt nach Osbornes „Der Entertainer“ und Tschechows „Die Möwe“ seine Auseinandersetzung mit scheiternden Künstlerschicksalen nun mit Thomas Bernhard fort.
„Iwanow“ | R: Robert Borgmann | Fr 9.12.(P) 19.30 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 221 284 00
„Der Theatermacher“ | R: Sebastian Kreyer | Do 26.1.(P) 19.30 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
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