Pferdeleiber, Torsi, menschliche Körperglieder, Haare, Felle, Häute … Es ist nicht leicht, das in Worte zu fassen, was man in der Ausstellung von Berlinde De Bruyckere im Bahnhof Rolandseck sieht. Die konzentrierte Werkschau der international etablierten, 1964 geborenen belgischen Künstlerin setzt Skulpturen aus verschiedenen Werkphasen zueinander, dazu kommen einige Zeichnungen.
Die Skulpturen sind unheimlich komplex, hochdifferenziert und wirken von jeder Seite anders. Sie setzen sich aus vielen fragilen Schichten wie aus aufblätternden, sich gleichzeitig verschließenden und öffnenden Häuten zusammen, durchdrungen von erdigen Tönen und zusammengehalten von Wachs. Das Licht im Wechsel des Tagesablaufs spielt eine wichtige Rolle. Das Fell mit dem angedeuteten Haupt eines Pferdes ist über ein Gerüst gelegt oder die nachempfundenen Sehnen und schier pulsierenden Häute sind unter einer Vitrine verspannt. Jedoch beunruhigt all das nicht, wirkt als Schönheit und weist unmittelbar auf die Verbindung von geistiger und körperlicher Existenz.
Sinnlichkeit und Tod, Harmonie und Deformation, Verletzlichkeit und Vergänglichkeit und die Selbstbehauptung dem gegenüber sind Themen dieser Werke, verbunden mit der Aufforderung, gegenüber Krieg, Zerstörung und Schrecknissen nicht gleichgültig zu sein. Erfahrung von Leben wird transzendiert und in wirkmächtige Bilder gefasst, welche die Natur und die leibliche Existenz repräsentieren. Assoziationen zu Kreuzigungsszenen in der Kunstgeschichte stellen sich ein, und es überrascht nicht, dass einzelne dieser Werke in Kirchenräumen gezeigt wurden. An einer Säule kauert der Torso eines „Schmerzensmannes“: Immer wieder greift De Bruyckere in ihren expressiv-introvertierten Werken auf die christliche Ikonographie zurück, ohne sie überzustrapazieren.
Irgendwann steht man sprachlos vor diesen Werken: schaut, erschrickt, entdeckt, findet weiter, fühlt sich ein und entdeckt Parallelen zu unserer heutigen Zivilisation, gerade in Zeiten der Konfrontation, des psychischen und kriegerischen Terrors, und findet aber auch Trost und Selbstbewusstsein.
Berlinde De Bruyckere – PEL / Becoming the figure | bis 8.1.23 | Arp Museum Rolandseck | 02228 942 50
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