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„Auf das Umfeld kommt es an“

03. Dezember 2010

Dr. Steffen Lehndorff über Belastungsgrenzen - Thema 12/10 Weihnachten als praktisches Antidepressivum

choices: Herr Lehndorff, lassen sich Arbeit und Freizeit noch voneinander trennen?
Steffen Lehndorff: Für die meisten Beschäftigten ist das sicher noch der Fall. Allerdings sind für viele die Grenzen fließend geworden, was durchaus positiv sein kann. Wenn Sie sich stark mit Ihrer Arbeit identifizieren, können diese fließenden Grenzen auch Kräfte freisetzen. Das Problem beginnt da, wo im Arbeitsumfeld die Unterstützung fehlt und die Arbeitsbelastungen in Stress ausarten.

Strukturiert die Erwerbsarbeit auch die Freizeit?
Entscheidend ist, ob ich die Kontrolle über meine Arbeitszeit und die Dauer meiner Freizeit habe. Wenn ich die Kontrolle verliere, bin ich womöglich Burnout-gefährdet.

Welche Trends bestimmen die Arbeitsorganisation in den letzten Jahren?
In vielen Unternehmen werden Beschäftigte vom Management unmittelbar mit vermeintlichen „Marktanforderungen“ konfrontiert. Wie diese Ziele im Einzelnen erreicht werden können, sollen die Beschäftigten „autonom“ entscheiden. Wenn aber die dafür erforderlichen personellen und finanziellen Ressourcen fehlen, baut sich wiederum Stresspotential auf. Ein Beispiel: Die sozialen Pflege- und Erziehungsdienstleistungen sind als Teil der öffentlichen Dienste in steigendem Maße unterfinanziert. Das wird sich in den nächsten Jahren noch verstärken. Unter dem Vorwand, man müsse die Öffentlichen Haushalte in Folge der Finanzkrise kürzen, muss oft die gleiche Arbeit von weniger Menschen in kürzerer Zeit erledigt werden. Hier liegt eine der Hauptgefahren für die Gesundheit der Beschäftigten.

Wie belastbar ist der Mensch im Extremfall?
Kein Mensch kann 24 Stunden verfügbar sein, auch wenn behauptet wird, die Globalisierung verlange das. Seit Beginn der Neuzeit ist es die Arbeitsteilung, die alle Probleme des Kapitals gelöst hat. Jetzt wird Arbeitsteilung auch für die Gesundheit der Menschen immer wichtiger. Komplexe Arbeitsprozesse erfordern Kooperation und viel geteiltes Wissen. Sonst kommt die Gesundheit unter die Räder.

Wo liegen hier die Grenzen?
Wenn ich hochmotiviert in einen Betrieb gehe und feststelle, dass ich eigentlich nur gequält werde, geht die Motivation verloren. Gerade vor dem Hintergrund alternder Belegschaften fragen sich manche Unternehmen mittlerweile nach den Folgekosten, wenn sie die Regenerationsfähigkeit ihres Personals strapazieren. Aber durch zunehmende psychische Erkrankungen werden solche Organisationsprobleme auch zum Problem der ganzen Gesellschaft.

Dr. Steffen Lehndorff
Foto: IAQ
Dr. Steffen Lehndorff lebt in Köln und ist Mitarbeiter der Forschungsabteilung Arbeitszeit und Arbeitsorganisation am Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen. Zuletzt hat er das Buch „Abriss, Umbau, Renovierung? Studien zum Wandel des deutschen Kapitalismusmodells“ im VSA-Verlag herausgegeben. Mehr unter www.iaq.uni-due.de.

PETER HANEMANN/WOLFGANG HIPPE

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