[Das Abokonzert „Lebensträume“ sollte unter Leitung von Sylvain Cambreling vom 10. bis 12. März gespielt werden. Wegen des Coronavirus musste der letzte Termin allerdings ausfallen. – Anm. d. Red.]
Suchend betrat der Solist die Bühne und bewegte sich immer wieder durch das Orchester: Der französische Bratschist Antoine Tamestit beließ es bei seinem Konzert mit dem Kölner Gürzenich-Orchester nicht etwa bei einer recht steifen Umsetzung von Berlioz‘ „Harold en Italie“, sondern setzte die Geschichte auch mit szenischen Elementen um. Berlioz‘ Sinfonie erzählt die Geschichte des Knappen Harold, einer Roman-Gestalt von Lord Byron, und seinen Abenteuern bei der Wanderung durch Italien. Dabei wird dem jungen Mann im ersten Satz ein Thema zugeordnet, das sich wie ein Leitmotiv oder auch eine Idée fixe durch das ganze Werk zieht und von der Solo-Viola umgesetzt wird.
Tamestit war hierfür geradezu die Idealbesetzung: Nicht nur spielte er den Harold mit allen Elementen wie Angst, Freude und Staunen, sondern war natürlich auch musikalisch gesehen die Idealbesetzung. Er spielte mit dem Orchester – zunächst mit der Harfe bei der Vorstellung des Harold-Themas, später dann auch mit dem Klarinettisten. Hier bewahrheitete sich das, was Tamestit schon vorab über das Werk gesagt hatte: „Es ist ein Meilenstein, der die Persönlichkeit unseres Instruments definiert. Deswegen ist das Stück für mich eine Art Personalausweis geworden, da ich es sehr oft gespielt habe. Harold ist ein Charakter, den man als Solist zu verkörpern versuchen sollte wie ein Schauspieler.“ Dies gelang ihm an diesem Abend sowohl in der szenischen als auch musikalischen Auseinandersetzung mit dem Werk. Das Gürzenich-Orchester zeigte sich als sehr guter Partner, angefangen bei den Einzeldialogen mit dem Solisten bis hin zu den vollen und dramatischen Klängen.
Neben Berlioz‘ Sinfonie „Harold en Italie“ standen zwei weitere Werke auf dem Programm: Eröffnet wurde dieser Abend mit einem weiteren Werk des Komponisten, seiner klanggewaltigen Ouvertüre „Les Francs-juges“. Entstanden 1826, war die Ouvertüre ein Meilenstein in Berlioz‘ Karriere, da er in dem Frühwerk bereits durch einen ganz eigenen Stil auffiel. Hier überzeugten vor allem die zahlreich vorhandenen Blechbläser des Orchesters im ersten Teil. Besonders reizvoll gelang die Gegenüberstellung von Holzbläsern und Streichern im Allegro assai, zu denen das Schlagwerk mit ganz anderen Rhythmen einen Gegenpol darstellte. Ein beeindruckender Auftakt des Gürzenich-Orchesters unter der Leitung von Sylvain Cambreling.
In der Mitte des Programms stand Charles Ives‘ bildhaftes Werk „Three Places in New England“: Über mehrere Jahre hinweg entstanden, zeichnen diese drei Bilder Ives‘ Vorstellung seiner amerikanischen Welt: Regelrecht sphärisch erklang die Meditation „The ‚St Gaudens‘ in Boston Common“, in der der Song „Old Black Joe“ allgegenwärtig ist, das jedoch punktuell nicht ganz präzise umgesetzt war. Von den Gürzenich-Musikern heiter und charmant gespielt, folgte der Marsch „Putnam’s Camp, Redding, Connecticut“, in dem Ives wiederum Zitate amerikanischer Songs einbaut. Der letzte Satz, „The Housatonic at Stockbridge“, ist zunächst privater Natur: Ives fertigte die ersten Skizzen nach einem Flitterwochen-Spaziergang mit seiner frischgebackenen Ehefrau an. Doch auch hier baut er eine Kirchenhymne ein und kombiniert so eigene und fremde Klänge. Diese Gegensätze, die schon in der Komposition und ihrer Entstehungsgeschichte verankert sind, setzte das Gürzenich-Orchester ebenfalls gekonnt um. Ein gelungener Konzertabend, der wiederum den Komponisten Hector Berlioz gebührend feierte.
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