Man denkt, dass solche Orte eigentlich gar nicht mehr existieren können. Aber weit gefehlt, sie leben, auch deshalb, weil andere Menschen das gleiche denken und etwas dafür tun, dass sie nicht verschwinden. Wo befindet sich dieser einzigartige Ort? Keineswegs in einem verwunschenen Umfeld, sondern in der Palmstraße, dort, wo die Widersprüche von Kölns urbaner Realität hart aufeinander stoßen. Hier, gleich hinter dem Ring, gibt es gepflegte Altbaufassaden und solche die eher vergessen sind. Es gibt Prostitution und ein junges quirliges Großstadtpublikum und gleich gegenüber ein von der Stadt Köln schändlich vergessenes Grundschulareal. Und dann prangt in der Nr. 14 eine große, zweistöckige Glasfassade und dahinter nur Bücher und noch mehr Bücher bis an die Decke. Das Antiquariat Stefan Schülke.
Es gibt doch noch etwas außer den Büchern, das sind Blumen, diskret positioniert, so dass man sie erst bemerkt, wenn man schon in den großen Kubus aus Buchrücken eingetreten ist. Nur eine Frau vermag einen Raum derartig subtil zu inszenieren. Sie, die Antiquarin, ist Teil jener romantischen Liebesgeschichte, der der moderne Büchertempel seine heutige Existenz verdankt. In den Regalen stehen Kunstbücher, Monografien, Ausstellungskataloge, Werkverzeichnisse, Zeitschriften oder Künstlerbücher. „Das ist überhaupt das Allerschönste“, meint Kristina Schenke, die sich für das Künstlerbuch als Medium der bildenden Kunst begeistern kann.
Sie selbst ist dem Zauber des Ortes, an dem sie inzwischen den größten Teil ihres Lebens verbringt, selbst einmal erlegen. Damals war sie Studentin, wohnte in der Straße, betrat neugierig den Laden und erwarb einen Katalog von Max Ernst für fünf Euro (es gibt noch ein Exemplar der Ausgabe und das steht zum gleichen Preis im Regal). Stefan Schülke, der Gründer des Antiquariats, verkaufte es ihr. Er hatte in der Buchhandlung Walther König, die sich gleich um die Ecke befindet, die Antiquariatsabteilung betreut. Als 2007 das Ladenlokal in der Palmstraße frei wurde, wagte Stefan Schülke den Sprung in die Selbständigkeit.
Über Max Ernst kamen Kristina Schenke und Stefan Schülke ins Gespräch und wurden bald ein Paar. Beide folgten beruflich getrennten Wegen. „Ich finde, das ist besser für eine Beziehung“, sagt Kristina Schenke. 2014 erlitt Stefan Schülke einen Herzinfarkt. „Das war ein großer Schock“, erinnert sie sich, „er war vier Tage im Krankenhaus. Es blieb nur noch Zeit zum Abschied. Da war dann auch schon der Freundeskreis zusammen.“ Dem sensiblen und großzügigen Charakter Stefan Schülkes fühlten sich viele Kunden und Kollegen verbunden. „Dieser Ort darf hier nicht auch noch verschwinden“, soll jemand gesagt haben. Die Antiquarin Gundel Gelbert brachte die Idee auf, dass Kristina Schenke das Antiquariat weiterführen könne. Unterstützung bot eine Gruppe von Menschen an, die alle auf ihre Weise mit dem Schicksal der Buchkultur verwoben sind. Etwa Thomas Schuld, der Leiter des Edith Stein Archivs, oder der Grafiker Tino Grass, der Sammler Karlheinz Deutzmann und Eva Möller, die Leiterin des Verlags Walther König. „Ich musste eine Nacht darüber schlafen, dann habe ich ‚Ja‘ gesagt“, erinnert sich Kristina Schenke. Heute besteht ihr Kundschaft aus Galerien, Bibliotheken, Museen, die hier für ihre Ausstellungen recherchieren. Sammler machen einen Großteil der Kundschaft für Editionen von Multiples, Grafiken und Fotografien aus. Daneben gibt es auch einfach interessierte junge Menschen, die Eingang in die Welt der bildenden Kunst finden wollen. „Mitunter sind auch Influencer darunter, die der Ort einfach fasziniert“, erzählt Kristina Schenke.
Das Antiquariat alleine würde als Standbein nicht tragen, so entstand der Verlag stefan schuelke fine books, außerdem wird ein Aufsehen erregendes Veranstaltungsprogramm organisiert, zu dessen Anlässen sich der Raum auf verblüffende Weise verändert. Noch in der Woche zuvor stellte Kristina Schenke den prachtvollen Band „A Sculpture Garden“ mit Fotografien von Boris Becker vor. Zu dessen Präsentation reiste Udo Kittelmann, der Direktor der Nationalgalerie Berlin, an, um auf der Palmstraße zu den vielen Gästen des Abends zu sprechen, da das Ladenlokal so viele Menschen gar nicht zu fassen vermag.
Es ist nicht zu übersehen, dass sich Kristina Schenke am richtigen Ort befindet. Nichts ist ihr fremder, als über die Krisen der Branche zu klagen. Wer zweifelt, sollte in die Palmstraße kommen, ihr Optimismus ist unweigerlich ansteckend. Sie bringt ihn unmissverständlich auf den Punkt, wenn sie sagt: „Ich glaube an das Buch.“ Die Tatsache, dass all diese Bücher auch Dokumente darstellen, die von Aktionen, Kunstwerken und dem Nachdenken über die Kunst und das Leben künden, verleiht ihrem Wort Gewicht. Die Bücher sind Zeugen der einzigartigen Kultur der Moderne. Und wie sagt Kristina Schenke doch: „Nicht alles vergeht, es bleibt auch etwas.“
stefan schuelke fine books | www.schuelke-finebooks.com
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