Ein gemeinsames Mahl ist vielleicht die idealste Form der Begegnung. Die Performancegruppe Polar Publik hatte im Februar Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten eingeladen, um mit ihnen über die Sehnsucht nach Begegnungen zu sprechen. Beim Essen. Die damals dokumentierten Gespräche bilden eine von mehreren Recherche-Grundlagen für das neue Stück „Alles in Strömen – Das Versprechen der Resonanz“.
Im Titel steckt bereits das Zentralwort des Abends. „Wir möchten das akustische Phänomen der Resonanz erforschen und es auf soziale Kontexte übertragen“, erzählt Regisseurin Eva-Maria Baumeister. Der Gedankenpate des Abends ist, man ahnt es, der Philosoph Hartmut Rosa, der mit seinem seitenstarken Wälzer „Resonanz“ Grundüberlegungen zu dem Begriff angestellt hat.
Da aller resonante Anfang akustisch ist, ist er auch unmittelbar körperlich. Deshalb, so Baumeister, arbeitet Polar Publik erstmals nicht nur mit Musiker:innen, sondern auch mit zwei Tanzer:innen, die demonstrieren, „was passiert, wenn ich den anderen auf ein Ding reduziere, ihn mir körperlich aneigne und aussauge, bis nur noch eine Hülle bleibt“. Das Beispiel zeigt exemplarisch, dass Resonanz, ob akustisch oder sozial, keineswegs die Welt als Streichelzoo herbeisehnt. „Resonanz“, so Baumeister, „bedeutet Streiten, dass ich mich verletzbar mache und öffne für mein Gegenüber – der Andere muss mich allerdings auch hören wollen, sonst entsteht kein Austausch“. Deshalb wird Polar Publik am Abend neben Hartmut Rosa auch Texte von Carolin Emke aus ihrem Buch „Gegen den Hass“ verwenden.
Der Befürchtung, am Abend einem hochphilosophischen Overkill ausgesetzt zu sein, widerspricht Baumeister lachend: „Es wird ein sehr spracharmer Abend“. Im Mittelpunkt steht nämlich auch die Resonanz zwischen unterschiedlichen theatralischen Formen wie Tanz, Musik, Sprache und Raum. Und auch die Resonanz mit den Zuschauer:innen, die in ein Raumtheater integriert werden, ohne dass sie dabei zum Mitmachen gezwungen werden. Polar Publik geht es dabei ganz unverfroren ums große Ganze: „Wir würden ein solidarischeres Leben führen“, so Baumeister, „wenn wir in einer Resonanzbeziehung mit der Welt leben würden. Wir wollen mit den Zuschauer:innen durchdeklinieren, was das heißt und wie das geht.“
Alles in Strömen – Das Versprechen der Resonanz | R: Eva-Maria Baumeister | 10. (P), 11.12., 20., 21.1.23 | Freies Werkstatt Theater | 0221 32 78 17
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Gegen sich selbst antreten
„Fünf Minuten Stille“ am Kölner FWT – Theater am Rhein 10/25
„Vielleicht wird die Kindheit outgesourct“
Regisseurin Viola Neumann über „Das Experiment“ am Freien Werkstatt Theater – Premiere 07/25
Selbsterwählte Höllen
„Posthuman Condition“ am FWT – Theater am Rhein 11/24
Vom Wert der Arbeit
8. Auftakt Festival am FWT – Lesung 09/24
Wo ist Ich?
„Fleischmaschine“ am FWT – Theater am Rhein 02/24
Das 360-Grad-Feedback
„Fleischmaschine“ am Freien Werkstatt Theater – Prolog 01/24
Das diffamierende Drittel
Einkommensunterschiede in der Kultur – Theater in NRW 12/23
Die fünfte Gewalt
FWT mit neuer Besetzung – Theater am Rhein 11/23
Menschliche Abgründe
„Mister Paradise“ am FWT – Theater am Rhein 11/23
Vorbereitung aufs Alter
„Die Gruppe“ im Freien Werkstatt Theater – Prolog 09/23
Rechtfertigung auf Skiern
„Der Nachbar des Seins“ am FWT – Theater am Rhein 08/23
Groteskes Reenactment
„Der Nachbar des Seins“ am FWT – Prolog 07/23
Auszeit der Ewigkeit
„Pyrofems“ von Wehr51 im Studio Trafique – Auftritt 12/25
Praktisch plötzlich doof sein
Helge Schneider präsentiert seine neue Tour – Prolog 12/25
„Man spürt den Theatermenschen“
Dirigent Daniel Johannes Mayr über die Bonner Wiederentdeckung der Oper „Die Ameise“ – Premiere 12/25
Über zwei Ikonen
„Marlene Piaf“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 12/25
Verlorene Jahre
„The Drop“ am Jungen Schauspiel in Düsseldorf – Prolog 11/25
So verwirrend wie das Leben
„Berlin Alexanderplatz“ am Schauspiel Köln – Prolog 11/25
Von der Aufgabe des Denkens
Audiowalk „Jeder stirbt für sich allein“ in Köln – Auftritt 11/25
„Ein armes Schwein, aber auch ein Täter“
Regisseur Hans Dreher und Schauspielerin Laura Thomas über „Laios“ am Theater im Bauturm – Premiere 11/25
Utopie auf dem Rückzug
Bertha von Suttners „Die Waffen nieder“ am Theater Bonn – Prolog 10/25
Muttärr! Oder: Dschungelbuch in Ulm
„Man kann auch in die Höhe fallen“ am Theater Der Keller – Auftritt 10/25
„Wir führen keine Monster vor“
Regisseurin Nicole Nagel über „Aufruhr der Stille #MeTooInceste“ am Orangerie Theater – Premiere 10/25
Schreib dich frei!
„Botin“ in der Alten Versteigerungshalle auf dem Großmarkt – Theater am Rhein 09/25