Donnerstag, 14. September: Nach einem runden Jubiläum im vergangenen Jahr, in dem das Afrika Film Festival Köln 30 Jahre alt wurde, kann man nun in diesem Jahr die 20. Festivalausgabe feiern. Die Diskrepanz entsteht aus der Tatsache, dass das Festival zu Beginn noch nicht jährlich stattfand. Mittlerweile ist es ein wichtiger und beständiger Höhepunkt unter den Kölner Filmfestivals, wenngleich Festivalleiter Sebastian Fischer im Interview erläutert, dass die finanzielle Lage selten so schwierig war wie in diesem Jahr. Von den Kämpfen hinter den Kulissen merkte man bei der Eröffnung des 20. Afrika Film Festivals Köln indes wenig, denn der Kinosaal des Filmforums war brechend voll, als Schirmfrau Dyana Gaye das elftägige Festival am Abend des 14. September offiziell eröffnete. Vor der Projektion des Eröffnungsfilms „Coconut Head Generation“ von Alain Kassanda, einer Koproduktion zwischen Frankreich und Nigeria, sorgte Sarah Tsehaye mit der Cross Music Band für die richtige Stimmung. Im Foyer des Filmforums bestand während des Eröffnungs-Umtrunks und der Musik von DJ Loca die Möglichkeit, einige traditionelle afrikanische Gerichte und Fingerfood zu genießen.
Diskussionen über Filme
Kurator Fradique leitete nach der Vorführung von „Coconut Head Generation“ das Filmgespräch mit Alain Kassanda, dessen dritter Langfilm für die Eröffnung ausgewählt worden war. Am Abend des 15. September hat man darüber hinaus die Möglichkeit, mit „Colette et Justin“ Kassandas zweiten Film auf dem Afrika Film Festival Köln zu erleben, ebenfalls im Anschluss begleitet von einem Filmgespräch. Kassanda wurde in Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo geboren, kam aber bereits als Teenager nach Frankreich. Dort machte er seinen Universitätsabschluss und arbeitete einige Jahre als Programmierer für Kinos und Filmfestivals. Im Jahr 2015 zog er nach Ibadan im Südwesten Nigerias, wo nun auch seine Dokumentation „Coconut Head Generation“ angesiedelt ist. Die Universität von Ibadan ist die älteste des Landes und blickt mittlerweile auf eine über 70jährige Geschichte zurück. Kassanda war insbesondere fasziniert vom studentisch organisierten „Thursday Film Club“, in dem „sehr politisierte, cinephile Jugendliche sich zum gemeinsamen wöchentlichen Filmschauen treffen“, so der Filmemacher. Das sei vor allem deswegen ungewöhnlich, weil in nigerianischen Kinos in erster Linie amerikanische Blockbuster laufen und kaum Platz bleibt für Kunstfilme. Dem „Thursday Film Club“ käme dabei eine ähnliche Position zu wie der „Cinémathèque Française“, da hier Filme wie „M - Eine Stadt sucht einen Mörder“ von Fritz Lang, Klassiker der Nouvelle Vague oder des japanischen Meisterregisseurs Akira Kurosawa auf dem Programm stünden. Auch afrikanische Filme werden gezeigt, die zu lebhaften Diskussionen im Anschluss führen, weil viele der angesprochenen Themen das Leben der Studenten ganz unmittelbar betreffen.
Gemeinsam gegen Polizeigewalt
Der Begriff der „Coconut Head Generation“ wurde eigentlich despektierlich für die Millennials erfunden, die nur über ihren Smartphones hängen und durch Faulheit und Apathie glänzen. In Nigeria mit seinen rund 230 Millionen Einwohnern stellen die Unter-30-Jährigen einen Bevölkerungsanteil von über 50%, und viele von ihnen sind arbeitslos und haben keine Aussicht auf einen Job. Trotzdem zeigt uns Alain Kassanda in seinem Film eine Jugend, die alles andere als faul oder apathisch ist. In lebhaften Gesprächen tauschen sie sich über Machtungleichgewichte, ethnische Zugehörigkeit, Feminismus und Geschlecht aus. Kassanda saß schon am Schnitt seines Filmes, als in Ibadan die Situation eskalierte. Angestachelt von sinnloser Polizeigewalt formierte sich eine friedliche Gegenbewegung, die unglaublich stark wurde, weil sie „zum ersten Mal unabhängig von Geschlecht, Religion oder sozialer Klasse für eine gemeinsame Sache kämpfte“, führte der Regisseur weiter aus. Szenen von der „End SARS“-Bewegung gegen Polizeigewalt haben es nun auch noch in Kassandas Film geschafft. Es war ihm wichtig, „dieses wirklich wichtige Thema aufzugreifen“ und „ein anderes Bild von Nigeria in die Welt zu tragen“, das ansonsten immer als ein Land im Chaos ohne Zukunft gezeichnet wird. „Coconut Hero Generation“ liefert nun den Beweis, dass die jüngere Generation in Nigeria durchaus wieder politisch ist und sich mit den etablierten Machtstrukturen nicht länger abfinden will.
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