Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
4 5 6 7 8 9 10
11 12 13 14 15 16 17

12.577 Beiträge zu
3.805 Filmen im Forum

Der russische Dichter und TerroristIwan Kaljajew

Absolute Freiheit, absolute Moral

28. August 2014

Camus-Vergleich in Düsseldorf und Bonn – Prolog 09/14

Die Camus-Renaissance ist immer noch in vollem Gange. Begonnen hat sie bereits in den 90er Jahren mit der Veröffentlichung des nachgelassenen Romans „Der erste Mensch“: einer Geschichte von der Rückkehr ins Land der Mutter, in die Hitze Algeriens, in ein Land vorzivilisatorischer Armut, einer Rückkehr, die als Erlösung von den Zumutungen Frankreichs gemeint war. Von da an steuerte alles zunächst auf den 50. Todestag Camus’ vor vier Jahren und dann auf den 100. Geburtstag 2013 zu. Neue Biographien kamen heraus, seine Werke wurden neu aufgelegt. Auch das Theater partizipiert am neu erwachten Interesse, in Berlin, Stuttgart, Wien und jetzt auch an den Stadttheatern in Bonn und Düsseldorf.

Martin Wuttke inszeniert in der früheren Bundeshauptstadt Camus’ „Caligula“. Der skandalumwitterte römische Kaiser war zunächst ein gerechter Regent, der mit dem Tod seiner Schwester Drusilla plötzlich zu einer neuen Erkenntnis gelangt: „Die Menschen sterben und sind nicht glücklich.“ Für ihn Beweis der Absurdität des Lebens, dessen Wahrheit er nun enthüllen will. Caligula errichtet eine Schreckensherrschaft mit brutalen Gewaltexzessen, er vergewaltigt und mordet und macht selbst vor seiner eigenen Geliebten nicht Halt. Je größer das Gräuel, desto größer für Caligula der Ausweis an Freiheit. Es ist ein Experiment, das der Herrscher nicht nur durch seine Allmacht, sondern auch durch seine rationale Argumentation zu untermauern versucht. Am Ende mündet die absoluten Freiheit ins absolute Nichts: ein moralisches schwarzes Loch, das alles verzehrt. In einer ersten Fassung wird Caligula schließlich umgebracht, in einer zweiten tötet er sich in dieser „Tragödie der Erkenntnis“ selbst.

Diese Erkenntnis bleibt Iwan Kaljajew versagt. Der russische Sozialrevolutionär in Camus’ Drama „Die Gerechten“ ist Mitglied einer politischen Gruppe, die an eine bessere Zukunft für ihr Land glaubt und die dafür zur Gewalt bereit ist. Doch wie viel Terror ein mögliches gesellschaftliches Paradies rechtfertigt, darüber gehen die Meinungen auseinander. Als Iwan Kaljajew beim ersten Versuch, den Großfürsten zu töten, noch zurückschreckt, weil die Neffen und Nichten des Machthabers in der Kutsche sitzen, entbrennt ein heftiger Streit. Der aus dem Gefängnis geflohene Stephan ist zu jeder Tat bereit, der Rest der Zelle nicht. Kaljajew begeht seine Tat schließlich doch und lehnt nach seiner Verhaftung die Möglichkeit, sich durch Verrat zu retten, ab. Nur sein eigener Tod beglaubigt angeblich die politische Moral seines Anschlags. Selbst als die Witwe des Großfürsten ihn zur Reue bewegen will, lehnt er großspurig ab: „Ich betrachte meinen Tod als Protest gegen eine Welt der Tränen und des Blutes.“ Regisseur Michael Gruner will das Stück am Düsseldorfer Schauspielhaus in den Kontext aktueller Anschläge von islamistischen Selbstmordattentätern stellen. Wir sind gespannt, ob sich bei Camus eine künstlerische Antwort auf die Gewaltstrategie von Terrorgruppen wie IS oder dem militärischen Arm der Hamas finden lässt.

„Die Gerechten“|R: Michael Gruner | 18.10.(P) 19.30 Uhr | Schauspielhaus Düsseldorf | 0211 36 99 11
„Caligula“ | R: Martin Wuttke | 28.11.(P) 19.30 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08

Nachtrag der Redaktion:
Die Produktion „Caligula“ wird leider entfallen. Der Regisseur Martin Wuttke teilte dem Theater Bonn mit, dass er sich aus persönlichen Gründen entschieden habe, zurzeit nicht als Regisseur zu arbeiten, weil er sich zukünftig auf die Schauspielerei konzentrieren möchte. Beide Seiten bedauern die kurzfristige Absage sehr, hoffen aber in Zukunft wieder zusammen zu arbeiten.
(Quelle: www.theater-bonn.de)

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Alter weißer Mann

Lesen Sie dazu auch:

Die Macht, ihr Preis und die Tradition
Düsseldorfer Schauspielhaus feiert 50-jähriges Bestehen – Theater in NRW 01/20

Schlachtfeld der Phantasie
„Hamlet“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Theater 03/19

Mäzene bitte melden!
Düsseldorf saniert sein Schauspielhaus mit Spenden – Theater in NRW 11/17

Keiner will einen blassen Argonauten
Roger Vontobel inszeniert in Düsseldorf „Medea“ – Theater am Rhein 04/17

Friendly Fire
Düsseldorf kauft Rechte am Schauspielhaus – Theater in NRW 03/17

Fahrlässiger Katastrophenalarm
Streit ums Düsseldorfer Schauspielhaus – Theater in NRW 12/16

Christus in der Petersburger Gesellschaft
Matthias Hartmann mit „Der Idiot“ in Düsseldorf – Theater am Rhein 11/16

Mythos und Spektakel
Neustart am Düsseldorfer Schauspielhaus – Prolog 07/16

Die böse Schein-Heiligkeit
Thomas Schulte-Michels inszeniert „Mephisto“ in Düsseldorf – Theater am Rhein 11/15

Mit Pauken und Presslufthämmern
Sanierungs-Chaos an den Düsseldorfer Bühnen – Theater in NRW 10/15

Partizipation und Abwehrzauber
Theater als sozialaktivistischer Treibriemen – Theater in NRW 12/14

Mal top mal Flop
Sensationelle Varieté-Stars und ausbaufähiger Musical-Nachwuchs – Musical in NRW 10/14

Bühne.

Hier erscheint die Aufforderung!