choices: Herr Weiner, ist Ihnen eine Stadt bekannt, die sich in ihrem Selbstbild nicht als weltoffen, tolerant und von kultureller Vielfalt geprägt beschreibt?
Joachim Weiner: Nein. Nach der Durchsicht von mehr als einem Dutzend kommunaler Integrationskonzepte, das Kölner eingeschlossen, habe ich den Verdacht, dass es einen geheimen Textbausteinkasten für Integrationskonzepte gibt, aus dem sich alle bedienen. Ich habe jedenfalls keine Kommune ausgemacht, die in ihrem Konzept nicht vorgibt, sich seit jeher vorbildlich und engagiert für die Integration der Zugewanderten eingesetzt zu haben. Geschichtsklitterung in Sachen Integration ist Standard.
Mittlerweile hat jeder dritte Kölner einen Migrationshintergrund. Was bedeutet das für die kommunale Integrationspolitik?
Sie muss damit aufhören, die Bürger mit Migrationshintergrund als eine klar abgrenzbare defizitäre Minderheit zu betrachten, die es mit einem längst unübersehbaren Wust von „migrationsspezifischen“ Unterstützungs- und Förderangeboten in die Stadtgesellschaft zu integrieren gilt. Die Bürger mit Migrationshintergrund sind so heterogen wie die übrige Stadtgesellschaft, und sie sind faktisch so viel und so wenig integriert wie ihre deutschen Mitbürger. Dieser Diversität muss die kommunale Integrationspolitik konzeptionell und in der konkreten Praxis gerecht werden.
In den Integrationskonzepten ist abwechselnd von Integration und Inklusion die Rede. Wo liegt da der Unterschied?
Vom Begriff der Integration sollte man sich im Zuwanderungsdiskurs endgültig verabschieden, weil er längst unlösbar mit der Forderung an die Zugewanderten verbunden ist, sich an die Kultur und die Lebensformen der deutschen Mehrheitsgesellschaft anzupassen. Da aber keine von allen Deutschen geteilte Kultur, geschweige denn Lebensform existiert, können die Zugewanderten die von ihnen geforderte Anpassungsleistung beim besten Willen nicht erbringen. Diese objektive Unmöglichkeit hindert die Aufnahmegesellschaft allerdings nicht daran, den Zugewanderten eine fehlende Bereitschaft oder gar eine generelle Unfähigkeit zu attestieren, sich zu integrieren. Der Inklusionsbegriff verlagert den Blick von den Zugewanderten auf die Aufnahmegesellschaft, die die gleichberechtigte Teilhabe aller Bürger an allen Lebensbereichen zu gewährleisten hat. Das Umschalten von Integration auf Inklusion fällt der Politik allerdings schwer, weil damit die „bewährte“ Unterscheidung von autochthonen Deutschen und Bürgern mit Migrationshintergrund ihre Orientierungs- und Steuerungsfunktion einbüßt. Darüber hinaus stünde mit diesem Paradigmenwechsel auch die staatlich geförderte Integrationsindustrie zur Disposition, die in den letzten Jahrzehnten um die „defizitären“ Migranten aufgebaut worden ist. Schon weil die Politik es nicht wagen wird, sich mit deren mächtiger Lobby anzulegen, dürfte der längst überfällige Abschied vom Integrationsbegriff auf sich warten lassen.
Die Integrationspolitik in Köln will aber doch nicht mehr an Defiziten ihrer Zielgruppen, sondern an deren Stärken ansetzen. Migranten nicht als Problem, sondern als „Ressource“.
Der aus der sozialen Arbeit übernommene Potentialansatz, der heute in allen Integrationskonzepten beschworen wird, macht zwar Sinn, erfordert aber eine erhebliche Umsteuerung eingespielter Verwaltungs- und Organisationsstrukturen, dazu eine grundlegende Neuausrichtung der migrationsspezifischen Unterstützungsangebote und der bestehenden Förderstrukturen. Das vorliegende Integrationskonzept liefert keine Anhaltspunkte dafür, dass man in Köln dazu bereit ist. Die mehr als 200 Handlungsempfehlungen für die nächsten Jahre, mit denen das Kölner Integrationskonzept aufwartet, sprechen jedenfalls eine andere Sprache. Sie gehorchen eher der Devise: alles weiter wie bisher, von allem nur ein bisschen mehr.
Integrationspolitik gilt als „Querschnittsaufgabe“. Klappt die notwendige Kooperation in Köln?
In der Kölner Verwaltung ist Kooperation bislang die Ausnahme und nicht die Regel. Um die seit Jahrzehnten existierenden Abschottungstendenzen zwischen den einzelnen Verwaltungseinheiten aufzubrechen, bräuchte es einen Oberbürgermeister, der diesen Öffnungsprozess als Chef der Verwaltung gegen alle Widerstände vorantreiben würde. Es gibt allerdings keine Anzeichen dafür, dass Herr Roters fähig und bereit dazu ist, die lange überfällige Reform auf den Weg zu bringen. Der im Integrationskonzept beschworenen interkulturellen Öffnung und der dafür notwendigen Vernetzung der Verwaltungseinheiten räume ich daher kaum Realisierungschancen ein.
Was muss sich aus ihrer Sicht in der Kölner Integrationspolitik in den nächsten Jahren ändern?
Das lässt sich nicht in ein paar Sätzen sagen. Deshalb an dieser Stelle nur so viel: das integrationspolitische Leitziel müsste „Weg von der Defizitkompensation, hin zur Prävention“ sein. Das ist in weiten Bereichen das Gegenteil von dem, was im Kölner Integrationskonzept vorgezeichnet ist.
„Köln kann auch anders“ diskutiert am Montag, 18.6., über das Thema „Kölner Integrationspolitik – Weg zur interkulturellen Stadtgesellschaft oder wohlmeinender Blindflug?“ I Beginn 19.30 Uhr I Domforum (Domkloster 3, Köln)
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Neuer Blick auf Armutseinwanderer
„Maria“ von Michael Koch entsteht in Dortmund und Köln – Setbesuch 03/15
Leben im sozialen Brennpunkt
„Am Kölnberg“ im Filmforum – Foyer 03/15
Minderheiten sind wir alle
Köln im interkulturellen Querschnitt - THEMA 06/12 INTEGRATION
Stadtgesellschaft ohne Rassismus
Henriette Reker über Integrationspolitik, städtische Ziele und Integrationszentren - Thema 06/12 Integration
Mobilität der Minderheiten
Jan Ü. Krauthäuser über Interkultur, Zigeuner und Inspiration - Thema 06/12 Integration
Zum Wohl!
Intro – Rausch im Glück
Lebensqualität gegen Abwärtsspirale
Teil 1: Leitartikel – Drogensucht ist kein Einzelschicksal, sie hat gesellschaftliche Ursachen
„Wir haben das Recht auf Rausch“
Teil 1: Interview – Mediziner Gernot Rücker über die Legalisierung von Drogen
Zwischen Blüte und Bürokratie
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Cannabas-Club e.V. und der neue Umgang mit Cannabis
Gute Zeiten für Verführer
Teil 2: Leitartikel – Das Spiel mit dem Glücksspiel
„Ich vermisse die Stimme der Betroffenen“
Teil 2: Interview – Psychologe Tobias Hayer über Glücksspielsucht
Suchthilfe aus der Ferne
Teil 2: Lokale Initiativen – Online-Projekt des Evangelischen Blauen Kreuzes in NRW hilft Abhängigen
Konsum außer Kontrolle
Teil 3: Leitartikel – Was uns zum ständigen Kaufen treibt
„Dann übernimmt das Lusthirn“
Teil 3: Interview – Psychotherapeutin Nadine Farronato über Kaufsucht
Teufelskreis im virtuellen Warenkorb
Teil 3: Lokale Initiativen – Die Caritas-Suchthilfe hilft auch bei Kaufsucht weiter
Ausgespielt!
Spielautomaten aus Kleinstädten verbannt – Europa-Vorbild: Rumänien
German Normalo
Zwischen Selbstoptimierung und Abhängigkeit – Glosse
Panzer vs. Schulen
Intro – Kriegszitterer
Ausgebeutet und gegeneinander aufgehetzt
Teil 1: Leitartikel – Wie der Westen Afrika in die Dauerkrise gestürzt hat
„Rassismus und Herablassung“
Teil 1: Interview – Historiker Andreas Eckert über die Folgen des europäischen Kolonialismus
Für ein Ende der Ignoranz
Teil 1: Lokale Initiativen – Ausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ im NS-Dok
Gewalt mit System
Teil 2: Leitartikel – Patriarchale Strukturen ermöglichen sexualisierte Gewalt als Kriegsmittel
„Eine totale Machtdemonstration“
Teil 2: Interview – Kindernothilfe-Mitarbeiter Frank Mischo zu sexualisierter Gewalt in Krisengebieten
Erinnern im ehemaligen Arbeitslager
Teil 2: Lokale Initiativen – Die Initiative Gedenkort Bochum-Bergen
Multipolare Wirklichkeit
Teil 3: Leitartikel – Der Abstieg des Westens und der Aufstieg des BRICS-Bündnisses