choices: Herr Jung, haben Sie vor einem Jahr geglaubt, hierzulande gibt es so etwas wie den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU)?
Werner Jung: Nein. Was mich wirklich erstaunt, ist das vollständige Versagen der staatlichen Behörden. Wenn jetzt auch noch Politiker in die Keupstraße wallfahren und ein Minister davon spricht, dass man beim Kampf gegen den Rechtsextremismus „Nägel mit Köpfen“ machen wird, ist das peinlich. Vor allem, weil die polizeilichen Ermittlungen zunächst die Opfer als Teil des Tätermilieus hingestellt haben. Wir erleben einen Offenbarungseid und hoffentlich eine Zeitenwende bei der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus.
Von Bert Brecht stammt der Satz „Der Schoß ist fruchtbar noch/aus dem das kroch“. Können Sie dem als Historiker zustimmen?
vNein. Es gibt keine bruchlose Kontinuität, auf die sich Gruppen wie der NSU berufen könnten. Rassistisch motivierte Morde gibt es leider nicht nur in Deutschland, sie benötigen keine NS-Wurzeln.
Die aktuelle Ausstellung in Ihrem Haus beschäftigt sich mit dem Karneval in Zeiten des NS. Hat das Festkomitee das Projekt unterstützt?
Es ist erfreulicherweise Kooperationspartner, denn eine kritische Ausstellung zur Rolle des Karnevals im NS war überreif. Man hat in Köln allzu lange an der Legende gestrickt, der Karneval habe gegen das NS-System opponiert. Das Gegenteil ist der Fall. Ich hoffe, dass viele Karnevalsgesellschaften die Ausstellung besuchen.
Ihr Institut hat auch die Verstrickungen der Kölner Polizei mit dem NS-System untersucht.
Das Ergebnis unserer Forschungen war erschütternd, von wegen „Dein Freund und Helfer“. Die Kölner Polizei war Teil des rassistischen NS-Verfolgungsapparats. Sie beging Gewaltverbrechen. Kölner Polizisten verübten in den Polizei-Bataillonen fürchterlichste Massenmorde, für die sie auch noch hochdekoriert wurden.
Wie wichtig ist die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit vor Ort auch in Zukunft?
Wir hören ab und zu: Wollt Ihr eigentlich ewig forschen. Ist es nicht bald genug? Meine Argumente dazu: Das Forschen und Vermitteln der NS-Vergangenheit, das Gedenken an die Opfer ist eine Daueraufgabe einer demokratischen Gesellschaft. Aber wir kämpfen nicht gegen etwas, sondern für Menschenrechte, für Demokratie, für kulturelle Vielfalt. Dazu gehört aktuell auch die Beschäftigung mit der Islamophobie und Muslimfeindlichkeit der extremen Rechte.
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