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Petra Zieglmayer
Foto (Ausschnitt): Caro Strasnik Photography

„Wie eine Allergie, die keine ist“

30. Januar 2024

Teil 2: Interview – Allergologin Petra Zieglmayer über den Umgang mit Histaminintoleranz

choices: Frau Zieglmayer, was ist eine Histaminintoleranz?

Petra Zieglmayer: Man nimmt mit dem Essen auch regelmäßig Histamin zu sich, das in den verschiedensten Nahrungsmitteln in unterschiedlicher Menge enthalten ist – vor allen Dingen, wenn sie gereift und gelagert sind. Mit der Verdauung im Dünndarm wird dieses Histamin, das auch als entzündungsvermittelter Botenstoff im Körper unterwegs ist, normalerweise in der Darmschleimhaut inaktiviert. Bei Patienten, die unter Histaminintoleranz leiden, wird dieser Botenstoff Histamin nicht in der Darmschleimhaut inaktiviert, sondern in den Körper aufgenommen. Dadurch kann er im Körper zirkulieren und eine Entzündungsreaktion hervorrufen, die so wie eine allergische Reaktion ausschaut, aber nicht immunmediiert ist. Was bedeutet das für den Patienten? Dass er immer dann, wenn er histaminreiche Nahrungsmittel zu sich nimmt, damit rechnen muss, dass er nach der Nahrungsaufnahme mit einer Latenz von ein paar Minuten bis etlichen Stunden Beschwerden entwickelt, die aussehen wie eine Allergie, aber keine Allergie sind.

Können die Beschwerden lebensbedrohlich werden, wie beispielsweise bei einer Nussallergie? 

Nein, und zwar deshalb, weil die Menge des zirkulierenden Histamins natürlich in Abhängigkeit von der Menge, die vom Darm aufgenommen wird, in jedem Fall limitiert ist. Das heißt, es ist keine protrahierte Immunreaktion wie eine echte allergische Reaktion, wo ja eine Entzündungskaskade losgetreten wird, die sich zunehmend wie eine Tsunamiewelle aufbaut. Es ist vielmehr ein sich selbst limitierender Prozess, der nichtsdestotrotz massiv belastende Beschwerden im Körper auslösen kann. Das können durchaus auch mal Ödeme, Herzrhythmusstörungen, schwere Magen-Darm-Beschwerden mit krampfartigem Bauchschmerz und Durchfall sein. Aber lebensbedrohlich ist eine Histaminintoleranz nicht. 

„Patienten haben eine individuelle Reaktionsschwelle“ 

Wie schwer sind die Beschwerden? 

Das kann man so auch nicht sagen. Es ist sehr wohl belastend für den Patienten, weil es für ihn massiv unangenehm ist. Aber die Reaktion per se ist nicht lebensbedrohlich. Im Vergleich dazu muss man bei einer allergischen Reaktion im Sinne einer Nahrungsmittel-Anaphylaxie davon ausgehen, dass bereits kleinste Mengen des nicht vertragenen Nahrungsmittels massivste Reaktionen im Körper auslösen können, bis hin zu einer schweren Schockreaktion mit Kreislaufstillstand. 

Was sehr gefährlich werden kann … 

Sehr gefährlich, ja. Bei einer Histaminintoleranz hingegen ist die Reaktion immer mengenabhängig. Eine kleine Menge eines histaminhaltigen Nahrungsmittels wird vertragen. Eine größere Menge desselben Nahrungsmittels kann aber wiederum eine Reaktion auslösen. Und das macht es so schwierig im Umgang, da Patienten eine individuelle Reaktionsschwelle haben.

Welcher Umgang mit einer Histaminintoleranz ist empfehlenswert? 

Eine Grundkenntnis darüber, welche Nahrungsmittel per se histaminreich sind, ist in jedem Fall hilfreich. Hier gibt es online sehr gut verfügbar auch Listen, in denen man die Information findet, dass gereifter Käse, Salami, Tomaten, Zitronen und andere Nahrungsmittel histaminreich sind. Erschwerend kommt aber hinzu, dass eine Histaminintoleranzreaktion immer ein kofaktorielles Geschehen ist. Das heißt, es ist nicht nur die absolute Menge an mit der Nahrung zugeführtem Histamin, die Beschwerden verursacht, sondern auch andere Faktoren, wie andere Entzündungen im Körper, Stress, hormonelle Schwankungen, Anstrengung oder Sport. Es gibt also verschiedene sogenannte Aggravationsfaktoren, die hier ebenfalls eine Rolle spielen.

„Immer ein kofaktorielles Geschehen“

Die individuellen Unterschiede können sehr deutlich ausfallen?

Absolut. Es gibt individuelle Unterschiede dahingehend, dass manche Nahrungsmittel bei einigen Patienten massive Beschwerden hervorrufen und von anderen Patienten problemlos vertragen werden. Bier wäre hier ein gutes Beispiel. Es gibt Patienten, die bereits einen Schluck Bier mit einer klinischen Reaktivität quittieren, und andere können problemlos eine ganze Flasche Bier trinken, ohne dass sie unter nennenswerten Beschwerden leiden – selbst, wenn Kofaktoren ähnlich sind. Die unverträglichen Nahrungsmittel sind also durchaus von Patient zu Patient unterschiedlich, wobei es hier auch davon abhängt, wie frisch das Nahrungsmittel ist. Ich kann nicht sagen: Apfel ist gleich Apfel ist gleich Apfel. Sondern es spielt eine Rolle, ob der Apfel frisch vom Baum geerntet ist, ob er bereits einen Monat im Keller gelagert wurde, ob er dann vergoren wurde oder anders prozessiert. All das spielt eine Rolle unabhängig von exogenen Faktoren, die mit dem Nahrungsmittel nichts zu tun haben. 

Wie wird eine Histaminintoleranz festgestellt?

Das ist relativ schwierig. Wir haben aktuell zwar die Möglichkeit, eines der zwei Enzyme mit Hilfe derer Histamin in der enteralen Schleimhaut abgebaut wird, quantitativ zu bestimmen. Das ist die Diaminooxidase (DAO). Allerdings ist diese Untersuchung nur dann aussagekräftig, wenn die Konzentration in der gemessenen Probe erniedrigt ist. Wenn die Konzentration dieses Enzyms in der gemessenen Probe normal ist, sagt das noch nichts über die Funktionalität des Enzyms aus. Es kann sehr wohl sein, dass ein Patient normale DAO-Konzentrationen hat, aber die Funktion des DAO nicht adäquat ist, sondern trotzdem zu viel Histamin im Körper zirkuliert, das dann Beschwerden verursacht. 

„Im medizinischen Bereich beschäftigt sich kaum jemand damit“

Wie wird dann weiter vorgegangen? 

Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt keine klaren Empfehlungen, wie hier die Diagnostik betrieben wird. Kein einziges etabliertes Verfahren würde so solide Daten liefern, dass man sagen könnte, wir hätten hier einen Gold-Standard zur Verfügung. Jedes Zentrum, das sich mit Histaminintoleranz und der Diagnostik derselben beschäftigt, hat ein eigenes für sich etabliertes Diagnoseverfahren, mit dem es versucht, die Diagnose abzusichern. Im Zweifelsfall ist dabei der zeitliche Zusammenhang zwischen histaminreicher Nahrung und dem reproduzierbaren Auftreten von Beschwerden eher wegweisend. Und auch hier scheitern wir bereits, weil nicht immer die gleiche Nahrungskonstellation zur gleichen klinischen Symptomatik führt. Das heißt, wenn ich einem Patienten heute am Abend ein Glas Rotwein mit einem Camembert und einer Salami als Histaminbelastung zu essen gebe, dann darf ich nicht damit rechnen, dass er morgen reproduzierbar die Beschwerden entwickelt, die er mir anamnestisch beschreibt. Der Patient hat mir vielleicht erzählt: „Ich habe mit einer Latenz von sechs bis acht Stunden dann immer Schwellungen der Hände und Migräne.“ Sie machen dann eine versuchsweise Histaminbelastung und stellen am nächsten Tag aber fest, „nee, diesmal hat es so nicht funktioniert“. Die Migräne ist nicht da, die Ödeme aber schon. Mit der gleichen Konstellation können sie zwei Wochen später aber ein ganz massives Ergebnis kriegen. Das heißt, die Reproduzierbarkeit einer standardisierten Vorgehensweise ist nicht gegeben und das ist der Grund, warum es bisher diagnostisch keinen Gold-Standard gibt. Es ist wirklich komplex und nicht trivial. Deswegen beschäftigt sich auch im medizinischen Bereich kaum jemand damit. 

Wie lässt sich der Histaminabbau im Körper unterstützen? 

Wenn tatsächlich die Diaminooxidase-Konzentration objektivierbar erniedrigt ist, empfiehlt man dem Patienten, dass er zu einer histaminreichen Mahlzeit dieses Enzym in Form von Kapseln zu sich nimmt, also quasi eine Enzymsupplementation macht. Ein durchaus gangbarer und sehr praktikabler Weg wäre auch, die Wirkungen von enteral reservierten Histamin im Körper zu minimieren, indem man dem Patienten ein Antihistaminikum an die Hand gibt, also eine ganz klassische Allergietablette. Wobei meine Erfahrung zeigt, dass man hier oft die doppelte Dosierung braucht. Mit einer Tablette kommt man nicht über die Runden. Die Patienten beschreiben das als sehr gangbaren, praktikablen und vor allen Dingen auch wirtschaftlich effizienten Weg, sich zu schützen. Man kann proaktiv zu Hause versuchen, sich histaminarm zu ernähren. Aber in Momenten, in denen man in Gesellschaft auswärts isst, beispielsweise bei einer Einladung in ein Restaurant, kann man nicht sicher sagen, wie histaminreich das Angebotene ist und die Situation wird schwieriger. Da macht es natürlich absolut Sinn, sich mit einer entsprechenden Prophylaxe einzudecken, indem man die Histaminauswirkung im Körper durch ein Antihistaminikum bekämpft.

„Eine Histaminintoleranz ist niemals angeboren“

Können Vitaminpräparate helfen?

Es gibt keine belastbare Evidenz dahingehend, dass man sagt, man könnte hier auf Umwegen die Funktionalität von Acetyltransferase oder Diaminooxidase, also der Enzyme in der Darmschleimhaut, die Histamin abbauen, unterstützen. Hier kann man keine spezifischen Empfehlungen geben in der Richtung „Nehmen Sie ein Vitamin-Kombi-Präparat zu sich oder irgendein spezielles Spurenelement“. Da gibt es keine Evidenz dazu. 

Vitamin B2 oder auch B6 können Histamin im Körper abbauen. Trotzdem fehlt hierzu wissenschaftliche Forschung?

Ja, es gibt zwei Studien zu, die sich damit ein bisschen beschäftigt haben, aber es ist noch nicht der Evidenzgrad, bei dem wir sagen, wir hätten jetzt belastbare Daten, die eine allgemeine Empfehlung rechtfertigen könnten. 

Kann eine Histaminintoleranz auch wieder nachlassen oder sogar ganz verschwinden? 

Die Patienten beschreiben hier durchaus ganz Unterschiedliches. Aufgrund der ausgeprägten Variabilität hinsichtlich der auslösenden Faktoren und des Schweregrades des Erkrankungsbildes, ist eine Studie, die eine aussagekräftige Empfehlung oder Wahrnehmung erlauben würde, nicht existent. Wir können uns hier nur auf unsere eigenen Beobachtungen verlassen, die ganz Unterschiedliches darlegen. Eine Histaminintoleranz ist niemals angeboren, sondern immer auf eine Veränderung in der Darmschleimhaut zurückzuführen, sei es durch eine schwere Darminfektion oder durch eine chemotherapeutische Intervention, die hier zu einer Insuffizienz des Histaminabbaus geführt hat. Wenn im Zuge eines solchen Geschehnisses eine Histaminintoleranz auftritt, dann ist sehr wohl denkbar, dass sich die Funktionalität der Darmschleimhaut mit der Genesung wieder regeneriert. Allerdings kann niemand sagen, wie stark hier Kofaktoren eine Rolle spielen. Und das macht das Ganze sehr schwierig im Hinblick auf die Aussage „Wenn du einmal eine Histamin-Unverträglichkeit hast, kannst du davon ausgehen, dass sie wie ein akuter Infekt ausheilt.“ Nein, das kann man nicht sagen. Es gibt Patienten, die viele Jahre mit reproduzierbaren Symptomen leben müssen und einfach aufgrund ihrer Erfahrungen und ihrem Umgang damit mit den Jahren besser damit leben. Es gibt aber auch Patienten, die aufgrund von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen beispielsweise durchaus zunehmend mehr an Beschwerden leiden. Was nicht damit zu tun hat, dass sie jetzt unachtsam wären im Hinblick auf die Histaminzufuhr, sondern was schlicht und ergreifend mit dem Entzündungsgrad in der Darmschleimhaut zu tun hat.


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Interview: Nina Hensch

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