„Jetzt stehen wir schon bestimmt seit fünf Minuten hier rum und es hat uns immer noch niemand an unseren Platz geführt.“ Meine Begleitung richtete ihre Empörung zwar nominell an mich, aber aus der Lautstärke und dem Tonfall heraus war klar, dass ihre Worte den Platzanweiser vor uns erreichen sollten. „Dabei haben wir uns doch ordentlich registriert. Un-glaub-lich“, setzte sie kopfschüttelnd nach.
Der Platzanweiser verstand den Wink mit dem Zaunpfahl und trat an uns heran. „Stimmt etwas nicht, die Herrschaften?“, fragte er.
„Erstens bin ich ja wohl mal keine Herrschaft, sondern eine Frau“, sagte meine Begleitung, „und zweitens wird es mal Zeit, dass wir an unseren Tisch geführt werden.“
Bevormundungs-Allergie
„Entschuldigen Sie vielmals, meine Dame. Sie hatten allerdings bei der Registrierung ein Persönlichkeitsprofil mit Allergie auf Bevormundung übermittelt. Solche Gäste bevorzugen es, selbst zu ihren Tischen zu gehen statt geleitet zu werden. Oder hat es da einen Fehler bei der Übermittlung gegeben?“
„Ähm nein, das stimmt schon so“, sagte meine Verabredung. Sie fasste meine Hand und führte mich durch den Speisesaal des Safe Date. „Komm, wir finden unseren Tisch schon alleine.“ Mit dieser resoluten Geste wollte sie ihren Fauxpas überspielen. Meine Nase fing an zu jucken. Auch ich reagiere empfindlich darauf, wenn man mir sagt, was ich tun soll.
Dies war unser erstes richtiges Treffen. Laut Dating-App haben wir lediglich 86 Prozent Übereinstimmung in Weltanschauungsdingen. Zum Beispiel leben wir beide zwar vegan, aber manchmal trage ich immer noch meine Lederstiefel aus der Zeit vor meiner Ernährungsumstellung. Hoffentlich wird sie das verkraften. Andererseits haben wir beide auch das Merkmal „abenteuerlustig“ in unseren Persönlichkeitsprofilen angegeben. Das kann ein verrückter Abend werden. Hoffentlich gut verrückt und ohne anaphylaktischen Schock.
Schnittmengen-Beziehung
Kaum saßen wir an unserem Tisch, kam ein in Schwarz gekleideter Kellner und brachte uns die Tablets mit unserem personalisierten Menü. Es enthielt jeweils nur Speisen ohne Inhaltsstoffe, auf die wir allergisch reagieren würden. Die hatten wir ebenfalls bei der Registrierung angegeben.
Die Wahl fiel mir nicht schwer, mir standen nur drei Gerichte zur Auswahl. Meiner Verabredung ging es anscheinend ähnlich. Der Kellner bestätigte unsere Bestellung und ging fort.
Im Nu erschien ein weißgekleideter Kellner an unserem Tisch und reichte uns zwei andere Tablets. Diese zeigten jeweils eine Liste mit Gesprächsthemen an, die keine Sujets enthielten, auf die wir allergisch reagieren würden. Auch das hatten wir bei der Registrierung angegeben.
„Wählen Sie bitte alle die Themen aus, über die Sie sich gerne miteinander unterhalten möchten“, instruierte uns der Kellner. „Aus der so erzeugten Schnittmenge dürfen Sie sich dann ein Thema aussuchen, über das Sie sprechen. Wenn Sie möchten, treffe auch ich die Auswahl für Sie. In jedem Fall bleibe ich für die Dauer des Gesprächs bei Ihnen und greife ein, falls jemand von Ihnen vom Thema abweicht. So möchten wir Ihr Kennenlernen so sicher und harmonisch wie möglich gestalten. Ah, Sie haben schon gewählt, wie ich sehe. Ich soll dann etwas vorschlagen? Sehr gerne. Bitte schön, Ihr Thema ist: die Debattier-Gladiatoren.“
Musik und Politik
O, wie schön, sie mag auch die verbalen Gladiatoren-Kämpfe! Sie hat, wie auch ich, die letzte Konfrontation live verfolgt.
„Es ist schon so mein guilty pleasure“, gab sie zu. „Ich steh auf dieses Barbarische, dieses Rohe. Ich meine, ich bin froh, dass wir Konflikte heute nicht mehr so regeln, aber im sportlichen Rahmen geht das. Die nehmen all diese Schmerzen ja freiwillig in Kauf.“
„Ja, genau. Was die da aushalten!“, erwiderte ich. „Sich einfach mal eine Stunde lang Argumente für eine Meinung anzuhören, die nicht die eigene ist – echt krass! Stell dir mal vor, früher haben die Leute auch so im echten Leben miteinander geredet. Die haben sich teilweise echt mit Unbekannten unterhalten, und dann konnte es aber sein, dass der andere Musik gehört hat oder eine andere Partei wählte. Dass die das echt jeden Tag so gemacht haben!“
„Echt wild, ej … Aber die Zahl der Therapieeinrichtungen ist ja nicht ohne Grund irgendwann hochgeschnellt!“
Das Gespräch verlief gut. Das Thema war perfekt für das erste Treffen, denn allein der Gedanke an dieses animalische Gebaren, das die Gladiatoren heute und die Menschen damals an den Tag legten, ließ nicht nur den Funken überspringen, er entfachte ihn auch.
Ganz beiläufig drückte ich eine Schaltfläche auf meinem Tablet und rief so das „After-Date-Formular“ auf. Ich bestätigte meine Vorlieben und No-Gos im Bett – und hoffte auf viele Übereinstimmungen.
GANZ SCHÖN EMPFINDLICH - Aktiv im Thema
deutsche-traumastiftung.de | Die Deutsche Traumastiftung arbeitetals Bindeglied zwischen Einrichtungen der Traumaversorgung und der Politik.
drk.de/hilfe-in-deutschland/bevoelkerungsschutz/psychosoziale-notfallversorgung | Der psychologische Notdienst leistet bei plötzliche Krisen Hilfe.
bpb.de/themen/medien-journalismus/medienpolitik/172085/katastrophen-und-ihre-bilder | Der Beitrag diskutiert Probleme der Berichterstattung über Katastrophen.
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Zeit des Verlangens
Intro – Ganz schön empfindlich
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„Meine Freiheit als Rezipient wird vergrößert“
Teil 1: Interview – Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich über Triggerwarnungen in Kunst und Kultur
Vorsicht Kunst!
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Kölner Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler
Allergisch gegen Allergiker
Teil 2: Leitartikel – Für gegenseitige Rücksichtnahme im Gesellschaftsbund
„Wie eine Allergie, die keine ist“
Teil 2: Interview – Allergologin Petra Zieglmayer über den Umgang mit Histaminintoleranz
Keine Subventionen gegen Mensch und Natur
Teil 2: Lokale Initiativen – Die Schutzgemeinschaft Fluglärm Dortmund – Unna
Armut ist materiell
Teil 3: Leitartikel – Die Theorie des Klassismus verkennt die Ursachen sozialer Ungerechtigkeit und ihre Therapie
„Solche Tendenzen sind nicht angeboren“
Teil 3: Interview – Sozialpsychologin Fiona Kalkstein über Autoritarismus und Demokratiefeindlichkeit
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Teil 3: Lokale Initiativen – Der Weisse Ring Wuppertal hilft Menschen, die unter Kriminalität und Gewalt leiden
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