Live soll John Maus ein kathartisches Erlebnis sein, auf Platte ist das nicht so offensichtlich: Der Buddy von Ariel Pink hat es sich auch auf „We must become the pitiless censors of ourselves“ in triefenden 80er-Synthies gemütlich eingerichtet. Allerdings ist der Weichzeichner so übersteuert, dass das schon als surrealer Drogenscore durchgeht. Und dann sind da noch so abgründige Texte wie in „Cop Killer“ – verstörend, aber großartig (Upset the Rhythm). Das gemischte Doppel Tu Fawning ist aus der agilen Portland-Szene erwachsen. Ihr Kennzeichen sind tribalistische Drums, ein reiches Arsenal an Instrumenten, der dramatische Gesang der Sängerinnen und offene Songstrukturen. Auf ihrem beeindruckenden Debüt „Hearts on Hold“ zelebrieren sie außerdem eine Nähe zum Vaudeville (City Slang). Die Kölner Band Locas in Love sind dreiviertel der Band Karpatenhund, waren aber schon vorher da. „Lemming“ ist ihr viertes Album. Deepe Themen, griffig Getextetes, ist das Album musikalisch gar nicht so düster, sondern eher beschwingter Pop, auch wenn mitunter die Gitarre ausbricht (Staatsakt). Nach dem Ende der Wings hat Paul McCartney 1980 auf seinem zweiten Soloalbum „II“ überaschend experimentell gearbeitet. Alleine im Heimstudio aufgenommen, sind so neben lustig-verpeilten bis albernen Popsongs auch elektronische Stücke entstanden, deren Herkunftsort und -zeit man kaum glauben kann. Das geniale „Temporary secretary“ oder der Drum'n'Bass-Funk von „Darkroom“ stellen die Musikgeschichte auf den Kopf, die B-Seiten und Outtakes der Bonus-CD dieser neuen Special Edition – darunter auch zehnminütiger Cosmic-Disco – sind nicht minder überraschend (Universal).
Den norwegischen Saxofonisten Mats Gustafsson kennt man von seiner Band The Thing als expressiven Powerplayer. Mit dem Trio Fire arbeitet er hingegen an langgezogenen, düsteren Improvisationen. Für das Album „Unreleased?“ haben sie sich Jim O'Rourke dazugeholt, der dem impressionistischen Improvisationsrock Gitarren- und Keyboardsounds hinzufügt (rune grammofon). Noch mal Norwegen: Das Trio Huntsville entfaltet auf „For Flowers, Cars and merry Wars“ hypnotische, krautrockige Trips mit unheilschwangerem Tonfall. Auf dem 18minütigen Opener singt Hanne Hukkelberg (Hubro). Zeitgleich wiederveröffentlicht das Frankfurter Label Analog Africa zwei Afro-Funk Debüts: Das selbstbetitelte erste Album vom Orchestre Poly-Rythmo von 1973 bringt vier lange Afro-Funk Stücke mit melodischem Gesang. Während das Orchester aus Benin inzwischen wieder ganz gut repräsentiert ist, ist ROB aus Ghana eine Entdeckung. Sein Debüt „Funky Rob Way“ zeigt ihn sechsmal mit psychedelisiertem Funk.
Benjamin John Power, eine Hälfte von den Fuck Buttons, veröffentlicht mit „Blanck Mass“ sein Solo-Debüt. Instrumentale Ambient-Elektronik, die ein wenig an Krautrock erinnert, aber mit verzerrten Sounds auch langgezogene Drones zelebriert. Heiliger White Noise – da ist der Albumtitel doppelt gut (Rock Action). Reinhold Friedl, der Gründer von Zeitkratzer, dem unkonventionellen Ensemble für Neue Musik, legt mit „Inside Piano“ sein erstes Solowerk vor. Darauf hört man sein präpariertes Klavier. Wenn man das nicht weiß, meint man jedoch einem mehrköpfigen Ensemble zu lauschen, das sich mit schabenden und kratzenden Klägen an rohen, auf und abschwellenden, polyphonen Drones abarbeitet. Eine 130minütige Doppel-CD, die man ob ihres extremen und intensiven Gehalts sicher nicht en bloc goutiert (Zeitkratzer).
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