Es muss wohl am großen Charisma des griechischen Baritons Aris Argiris liegen, dass seine Regisseure ihn so gerne in den Mittelpunkt ihrer Inszenierungen rücken. In der vergangenen Saison war es der Chef des Gelsenkirchener Musiktheaters, Michael Schulz, der Argiris als Rigoletto stark in Szene setzte. So stark, dass alle anderen Figuren daneben zu verblassen drohten. Nun ist es der junge Regisseur Tobias Heyder, der Argiris enormer Bühnenpräsenz offenbar erlegen ist. Nach dem gebrochenen Hofnarren gibt Argiris nun einen seelisch verkrüppelten Machtmenschen namens Scarpia. Beinahe ist man versucht zu glauben, so müsse wohl auch die Oper heißen, die Heyder aktuell auf die Gelsenkirchener Bühne gebracht hat. Dabei hatte Giacomo Puccini doch eine ganz andere Hauptperson im Sinn: la Tosca.
Petra Schmidt singt die Diva – und erfährt von Regie und Ausstattung (Kostüme: Verena Polkowski) zunächst weit weniger Zuneigung als ihr böser Gegenspieler. Eine altbackene, unvorteilhaft ausstaffierte Matrone steht da auf der Bühne, dass man sich schon fragen kann, warum Derek Taylor als junger Maler Cavaradossi sie eigentlich so anbetet. Gesanglich hingegen setzt sich Petra Schmidt überzeugend über das Negativ-Image hinweg. Und sie zeigt eine stringente, zunehmend starke Entwicklung ihres Charakters über alle drei Akte.
Immerhin hat das steife Outfit dann doch noch einen Sinn: Heyder hat die Handlung aus den Zeiten Napoleonischer Revolutionskriege ins faschistische Italien Mussolinis verlegt. Das funktioniert, auch wenn man nicht sofort darauf kommt. Andere Regieeinfälle bleiben rätselhafter: etwa das Te Deum zum Finale des ersten Aktes, das bei Heyder zu einer sexuell aufgeladenen schwarzen Messe für den Bösewicht ausartet. Die Idee ist nicht übel, leider wirkt die handwerkliche Umsetzung eher ungelenk.
So sehr sich die Regie auf das Scarpia-Portrait konzentriert und einen wirklich starken Mittelakt hinbekommt, so fahrlässig lässt sie andere Szenen einfach laufen. Oft wird nebeneinander statt miteinander agiert. Besonders bei dem jungen amerikanischen Tenor Derek Taylor, der stimmlich überzeugt und auch als Darsteller Ausstrahlung besitzt, lässt sich erkennen, dass ihm Personenführung fehlt.
Aris Agiris kann sich hingegen voll ausleben. Mit langen strähnigen Haaren gibt er einen schmierigen, kaputten Typen, der sich allerdings mit schöner Kunst in rauen Mengen umgibt. So gelingt eine tiefsinnige Charakterzeichnung in gewollter Widersprüchlichkeit. Exzellent ist die Leistung der Neuen Philharmonie Westfalen unter Rasmus Baumann. Mag die Bühnenhandlung auch so manche Rätsel aufgeben und nicht auflösen, musikalisch wird der Opernkrimi sehr schlüssig und mit Hochspannung auserzählt.
„Tosca“ | R: Tobias Heyder | Fr 5.2., Sa 27.2., Sa 12.3. je 19.30 Uhr, So 21.2. 18 Uhr | Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen | 0209 409 72 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Die Seele geraubt
„Hello Dolly“ am Gelsenkirchener MiR – Musical in NRW 04/24
Täuschung und Wirklichkeit
Ein märchenhafter Opern-Doppelabend in Gelsenkirchen – Oper in NRW 02/24
Neues Publikum
Land NRW verstetigt das Förderprogramm Neue Wege – Theater in NRW 11/23
Fiasko in forschem Ton
„König für einen Tag“ in Gelsenkirchen – Oper in NRW 07/23
Eisige Herrschaft
„Bernarda Albas Haus“ am MiR in Gelsenkirchen – Oper in NRW 04/23
Das Meer spiegelt die Gefühle
„Billy Budd“ am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen – Oper in NRW 03/23
Neues Spielfeld für Musiktheater
Spark-Festival geht in Köln an den Start – Festival 04/22
Morbider Mozart-Mythos
Choreographen-Duo interpretiert die Totenmesse – Tanz an der Ruhr 01/22
Fantastische Bilderwelten
„Big Fish“ im Gelsenkirchener MiR – Musical in NRW 05/19
Sodom und Gomorrhakirchen
„Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ in Gelsenkirchen – Oper in NRW 04/19
Es stinkt im Dorf
Bizets „Perlenfischer“ als packendes Sozialdrama – Oper in NRW 02/19
Der Prediger als Opferlamm
Leonard Bernsteins „Mass“ in Gelsenkirchen – Oper in NRW 12/18
Besiegt Vernunft die Leidenschaft?
„Orlando“ an der Oper Köln – Oper in NRW 11/24
Unerwartet Kaiserin
„Der Kreidekreis“ in Düsseldorf – Oper in NRW 11/24
Horror und Burleske
Die Spielzeit 24/25 am Gelsenkirchener MiR – Oper in NRW 07/24
Opern-Vielfalt am Rhein
„Nabucco“ eröffnet in Düsseldorf die Spielzeit 2024/25 – Oper in NRW 06/24
„Kritische Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit“
Kapellmeister Hermes Helfricht über Werner Egks „Columbus“ an der Oper Bonn – Interview 06/24
Welt ohne Liebe
„Lady Macbeth von Mzensk“ am Theater Hagen – Oper in NRW 05/24
Die Gefahren der Liebe
„Die Krönung der Poppea“ an der Oper Köln – Oper in NRW 05/24
Absurde Südfrucht-Fabel
„Die Liebe zu den drei Orangen“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 04/24
Grund des Vergessens: Rassismus
Oper von Joseph Bologne am Aalto-Theater Essen – Oper in NRW 03/24
Verpasstes Glück
„Eugen Onegin“ in Bonn und Düsseldorf – Oper in NRW 02/24
Unterschätzte Komponistin?
„Der schwarze Berg“ an der Oper Dortmund – Oper in NRW 01/24
Geschlossene Gesellschaft
„Flight“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 01/24