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Petra Schmidt lockt als „Fatty“ die jungen Bergleute in die verheißungsvolle Stadt Mahagonny
Foto: Forster

Sodom und Gomorrhakirchen

05. April 2019

„Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ in Gelsenkirchen – Oper in NRW 04/19

Das letzte Jahr der Ruhrkohle ist zu Ende – die Theatersaison aber noch lange nicht. Und so kehren sie noch einmal zurück auf die Theaterbühne: die staubigen Malocher aus dem Pütt. Sie sind die Gräber des schwarzen Goldes und werden angelockt von der Stadt der tausend Feuer: Gelsenkirchen alias Mahagonny. Die Idee, auf der Regisseur Jan Peter seine Version der Brecht/Weill-Oper vom Aufstieg und Fall gleichnamiger Phantasiestadt gründet, hat ihren Charme. Doch die Regie bleibt schnell in den Details stecken und verlässt sich lieber auf comichafte Überzeichnung.

Jan Peter hatte einst sein Gelsenkirchener Debüt als Videokünstler bei einem Schalke-„Oratorium“ gegeben. Auch bei seinem Regieeinstand spielt der Film eine Rolle. In Originalaufnahmen folgt der Zuschauer den amerikanischen Truppen beim Einmarsch ins Ruhrgebiet: der Ortseingang von Gelsenkirchen-Bismarck ist zu sehen. Auf der Bühne fliehen Begbick, Fatty und der Dreieinigkeitsmoses vor den „Konstablern“ der Alliierten. Fatty entledigt sich rasch noch ihrer Hakenkreuz-Armbinde, Moses hingegen wird seine SS-Mütze noch lange mit sich herumtragen. Die trägt er zur Gummischürze eines Schlachters, unter der seine nackten Beine in weißen Socken und „Adiletten“ hervorragen. Mit seiner Augenklappe und der künstlichen Glatze, über die lange, spärliche Haarsträhnen gekämmt sind, erinnert dieser Moses etwas an den bösen Oberst Sponsz aus Hergés Comic-Klassiker „Tim und Struppi“.

Mit solchen schrillen Überzeichnungen möchte Peter den spröden, belehrenden Duktus des Brecht-Librettos aus den späten 1920ern durchbrechen. Zu diesem Zweck lässt er seine Darsteller sogar mehrfach zur Kettensäge greifen. Indes vergeblich: Auch mit sehr ausgeprägtem Sinn für tiefschwarzen Humor betrachtet, erscheint das nicht lustig. Oder sollte es doch eher schockieren? Brecht als Splatter-Movie ist auf der Bühne aber auch kein echter Schocker. Die zweite Hälfte des Abends gerät – trotz Kettensägensplatter – sogar ausgesprochen zäh.

Und was so vielversprechend mit einer Verquickung von Lokalgeschichte und Brechtscher Dystopie begann, versandet immer mehr, weil auch immer weniger passt. Den von der Fresswelle der Nachkriegszeit erfassten Jakob, der sich an Würsten zu Tode frisst, will man noch gerne einordnen, Jos Tod beim Preisboxen sicher irgendwie auch. Aber die Bergleute als enthemmte Meute, die das Ruhrgebiet im Angesicht der weltweiten Atomkriegsgefahr in ein Sodom und Gomorrha verwandeln, sind dann doch ein eher abwegiger Gedanke. Man muss dem Regisseur, der 1966 in der DDR zur Welt kam und dort aufwuchs, wohl nachsehen, dass er eindeutig nicht „auf Kohle geboren“ wurde.

Musikalisch ragen unterdessen zwei Stimmen besonders positiv hervor: Martin Homrich singt einen angenehm kernigen und strahlenden Holzfäller Paul, und Anke Sieloff gibt eine erfrischend kecke, letztlich aber auch reichlich abgezockte Jenny. Almuth Herbst (Begbick), Petra Schmidt (Fatty) und Urban Malmberg (Moses) geben ein solides Gangster-Trio. Tobias Glagau (Jakob), Petro Ostapenko (Heinrich) und Joachim Maaß (Jo) singen die zunächst munteren, doch tragisch endenden Glücksritter an Pauls Seite.

Thomas Rimes erweckt unterdessen die fast 90 Jahre alte Partitur mit ihren vielen Jazz- und Foxtrott-Elementen zu neuem Leben. Weills Musik ist emotional weitaus weniger distanziert als das Brechtsche Libretto. Der Komponist gönnt seinem Publikum sogar ein paar ausgesprochene Ohrwürmer wie die Gassenhauer „O Moon of Alabama“ oder „Wie man sich bettet, so liegt man“. Doch auch musikalisch finden sich Verfremdungseffekte wie harmonische Schärfungen, die bis heute sehr wirksam geblieben sind.

„Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ | R: Jan Peter | 14., 20.4., 4.5. je 19.30 Uhr | Musiktheater im Revier Gelsenkirchen | 0209 409 72 00

Karsten Mark

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