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Klug, sozial und ohne Nutzen für die Humanmedizin: die Ratte
Foto: Maxi Braun

„Tierversuche haben keinen Nutzen für die Forschung“

25. Juni 2015

Ärztin Eva Katharina Kühner von „Ärzte gegen Tierversuche“ – Thema 07/15 Veganes Leben

Dr. med. Eva Katharina Kühner ist aktive Tierversuchsgegnerin und Tierrechtlerin. Im Interview argumentiert die Sprecherin von „Ärzte gegen Tierversuche“ wissenschaftlich, warum Tierversuche wenig zielführend und kontraproduktiv sind.

choices: Werden für die biologische Grundlagenforschung wie Epilepsie-, Alzheimer-, Demenz- oder Parkinson-Forschung wirklich Tierversuche benötigt?
Eva Katharina Kühner: Nein, definitiv nicht. Sie sind wissenschaftlich unsinnig und selten zielführend. Sie bringen nicht nur kaum Fortschritt, sondern führen häufig sogar in eine Sackgasse. Es gibt eine geringe Übertragbarkeit von Tieren auf Menschen. Was beim Tier wirkt, funktioniert beim Menschen häufig überhaupt nicht. Von wie vielen Medikamenten aus der Forschung haben Sie schon gehört, die dann sang- und klanglos in der Versenkung verschwunden sind, weil sie die in sie gesetzten Hoffnungen in keiner Weise erfüllt haben. Das ist wie eine Lotterie, im Einzelfall stimmen die Ergebnisse der Tierversuche mit den Funktionsweisen bei Menschen überein. Letztlich muss man alle Medikamente ohnehin am Menschen ausprobieren.

Welche Alternativen zu Tierversuchen gäbe es für die Forschung?

Dr. med. Eva Katharina Kühner
Foto: Presse

Dr. med. Eva Katharina Kühner promovierte im Bereich kognitive Neurowissenschaften. Seit 2012 ist sie aktive Tierversuchsgegnerin und Tierrechtlerin und Vereinssprecherin von „Ärzte gegen Tierversuche e.V.“


Es gibt mittlerweile sehr viele deutlich bessere Methoden als Tierversuche. Computersimulationen gehören dazu, außerdem die Arbeit mit menschlichen Zellkulturen oder auch mit Organchips. Dabei werden auf einem Chip mittels menschlicher Zellen ein oder mehrere Organe nachgebildet, die wie im menschlichen Körper reagieren. Der Chip verhält sich dann wie ein Mini-Mensch oder ein Organ. Gute Erfolge hat die Forschung auch mit dem sogenannten Microdosing erzielt. Hier verabreichen die Forscher kaum noch messbare, sehr kleine Dosierungen. Mit neuen, hochsensiblen Messmethoden können sie herausfinden, wie der Körper den Wirkstoff aufnimmt. Aber das Hauptproblem ist, dass diese modernen und „gewaltfreien“ Methoden gesetzlich nicht anerkannt sind. Die Pharmaindustrie ist gesetzlich gezwungen, Tierversuche durchzuführen, ob sie will oder nicht. Nicht nur in Deutschland übrigens, sondern genauso zum Beispiel in der Schweiz, den Niederlanden und Russland.

Machen „Ärzte gegen Tierversuche“ eigentlich einen Unterschied zwischen zum Beispiel Affen und Ratten, an denen Tierversuche unternommen werden?
Nein, wir machen keinen Unterschied. Alle Tierversuche müssen verboten werden, weil sie grausam, brutal und vollkommen überflüssig sind.

Halten Sie es für sinnvoll, ethisch eine Unterscheidung zwischen Tier und Mensch zu machen? Wie stehen Sie zu Peter Singers Thesen, der den Unterschied infrage stellt?
Wir argumentieren in erster Linie sachlich und in diesem Zusammenhang ist unser zentraler Ansatz, den Unterschied zwischen Mensch und Tier gerade hervorzuheben: Tierische Organismen reagieren keinesfalls vergleichbar mit menschlichen. Nehmen Sie zum Beispiel Schimpansen, sie haben zu 99 Prozent identische Gene wie Menschen, trotzdem erkranken sie niemals an HIV, Malaria oder Hepatitis B. Oder Krebs: Bei Ratten und Mäusen ist er seit Jahren heilbar, auf Menschen ist das nicht übertragbar. Oder Parkinson und Alzheimer: diese Erkrankungen kommen im Tierreich gar nicht in der Form vor, wie sie beim Menschen entstehen. Die künstlich hervorgerufenen Symptome, die diesen Erkrankungen angeblich ähneln, haben in Wirklichkeit nichts mit der menschlichen Erkrankung zu tun. Bei Menschen spielen zum Beispiel psychische und soziale Faktoren eine große Rolle.

Ethisch stehen wir auf dem Standpunkt, dass alle Tiere ein Recht auf Leben haben und Wissenschaftler ebenso wie Ärzte oder Tierärzte kein Leiden hervorrufen dürfen. Sie sind dem Berufsethos verpflichtet, Leben zu retten und Leiden zu heilen. Gute Wissenschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie kein Leiden hervorruft und keine Schäden verursacht.

Was würde passieren, wenn ab morgen gar keine Tierversuche mehr in Deutschland stattfinden würden?
Wir fordern genau das. Tierversuche sollten sofort verboten werden. Da sie, wie schon beschrieben, ohnehin keinen Nutzen für die Forschung haben, würde es relativ folgenlos bleiben. Leider wird nicht genug in tierversuchsfreie Methoden investiert, solange Tierversuche gesetzlich vorgeschrieben sind. Wenn es ein Verbot gäbe, würden die Alternativen sehr schnell Fortschritte machen. Das würde übrigens nach unserer Überzeugung auch bedeuten, dass die Forschung schneller und erfolgreicher bei der Bekämpfung von Krankheiten vorankommt. Die Grundlagenforschung könnte übrigens ab sofort auf Tierversuche verzichten, weil hier Tierversuche nicht gesetzlich vorgeschrieben sind.

Welche Ziele verfolgt Ihr Verein „Ärzte gegen Tierversuche“?
Wir setzen uns, wo auch immer es notwendig ist, dafür ein, Tierversuche ausnahmslos zu verbieten und moderne, tierversuchsfreie Forschung zu etablieren. Das bedeutet vor allem sogenannte Lobbyarbeit zu machen, also Politiker davon zu überzeugen, Gesetze zu verändern. Zunächst einmal muss der Zwang zu Tierversuchen für die Pharma-Industrie abgeschafft werden. Daneben wollen wir vor allem die Öffentlichkeit aufklären und die tiefsitzenden Vorurteile entkräften.Viele Menschen haben Mitleid mit den Tieren, glauben aber, man müsse diese Grausamkeit für den medizinischen Fortschritt in Kauf nehmen. Wir argumentieren wissenschaftlich, das unterscheidet uns auch von vielen anderen Initiativen und Vereinen. Deshalb engagieren sich immer mehr Wissenschaftler in unserem Verein.

Wer hat ein Interesse daran, bei den Tierversuchen alles beim Alten zu lassen? Da geht es doch sicher um viel Geld?
Ganz genau. Es gibt eine Industrie für Versuchstiere, verbunden damit sind Patente. Versuchstiere sind extrem teuer, eine Gen-Maus kann zum Beispiel bis zu 80.000 Euro kosten. Die Pharma-Industrie versucht aus Kostengründen, so weit wie möglich auf Tierversuche zu verzichten, darf dies aber nur in den gesetzlich vorgeschriebenen Grenzen. In Deutschland sterben offiziell jährlich drei Millionen Versuchstiere, wir gehen von einer noch viel höheren Dunkelziffer aus und rechnen in Wirklichkeit eher mit sieben Millionen.

Lesen Sie weitere Artikel zum Thema auch unter trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema

Interview: Kirsten Jantke

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Dr. Kühner, 08.10.2015

Wissenschaftliche Argumentationsführung

Eine wissenschaftliche Argumentationsführung ist unter Berücksichtigung der Tatsache, dass eine breite Masse an Personen erreicht werden soll, eher schwierig. Gerne liefere ich einige wissenschaftliche Arbeiten, die den Nutzen von Tierversuchen widerlegen und deren Sinnhaftigkeit generell anzweifeln.

Ray Greek, Andre Menache and Mark J Rice (2012). Animal models in an age of personalized medicine. Personalized Medicine (2012)9 (1), 47-64
Pandora Pound, Michael B. Bracken: How predictive and productive is animal research? BMJ 2014; 348:g3719
Ray Greek and Andre Menache, Systematic Reviews of Animal Models: Methodology versus Epistemology, International Journal of Medical Sciences 2013; 10, 206-221
Auf unserer Internetseite unter Infos/wissenschaftliche Studien können diese in der Zusammenfassung nachgelesen werden und die jeweilige Originalquelle kann ebenfalls dort gefunden werden.
Einige aktuelle Studien kommen zu dem Schluss, dass Tierversuche gerade für die Entwicklung von Medikamenten für Menschen nicht geeignet sind:
Eine Studie aus 2014 zeigt, dass von 4.451 Medikamenten, die zwischen 2003 und 2011 von 835 Firmen entwickelt wurden, nur 7,5 % auf den Markt kamen. Somit kamen 92,5 % nicht durch die klinische Prüfung am Menschen (Clinical development success rates for investigational drugs. (2014). Nature Biotechnology 2014 (32): 1; 40-51). Als besonders schlecht erwiesen sich Medikamente zur Behandlung von Krebs, Herzleiden und psychischen Erkrankungen.
Eine Auswertung aus 2012 mit zwischen 2006 und 2008 gesammelten Daten von 14 Arzneimittelherstellern offenbart ein Versagen des Tierversuchs von 95 % (Arrowsmith, J.: A decade of change. Nature Reviews Drug Discovery 2012: (11); 17-18).
Eine weitere Auswertung aus 2012, die Daten von 13 großen Arzneimittelherstellern aus den Jahren 2007 bis 2011 analysiert, kommt ebenfalls zu einer Durchfallquote von 95 % (Annual R&D General Metrics Study Highlights New Success Rate and Cycle Time Data CHICAGO, Illinois, 8. August 2012).
Zusätzlich muss bei diesen Zahlen berücksichtigt werden, dass zwischen 20 und 50 % der Medikamente, die es auf den Markt schaffen, wieder zurückgerufen oder mit Warnhinweisen versehen werden müssen, da sie beim Menschen Nebenwirkungen hervorrufen, die im Tierversuch nicht erkannt wurden (Lexchin J.: New Drugs and Safety: What Happened to New Active Substances Approved in Canada Between 1995 and 2010? Arch Intern Med. 2012: 172(21); 1680-1681; U.S. General Accounting Office. FDA Drug Review: Postapproval Risks 1976-1985. Publication GAO/PEMD-90-15, Washington, D.C., 1990).

Diese Problematik der fehlenden Verlässlichkeit des Tierversuchs ist schon seit Langem bekannt. Allerdings sind die wirtschaftlichen Interessen hinter dem System Tierversuch zu groß, als dass ein schneller Ausstieg oder eine Systemumstellung erfolgen könnte.

Ich bin Ärztin und habe folglich Medizin studiert. Im Rahmen des Studiums werden wir wiederholt mit der tierexperimentellen Medizin konfrontiert. Durch meine Dissertation, die ich im Fachgebiet Psychiatrie abgeschlossen habe und meine zwei anderen Abschlüsse (B.sc. und M.sc.), im Rahmen derer wissenschaftliche Abschlussarbeiten erforderlich waren, bin ich mit wissenschaftlichem Arbeiten bestens vertraut und weiß Arbeiten zu beurteilen.
Man muss keinesfalls selbst Tierversuche durchgeführt haben oder mit ihnen in Kontakt gekommen sein, um beurteilen zu können, dass diese "Methodik" aus wissenschaftlicher Sicht völlig ungeeignet ist.

Unser Verein Ärzte gegen Tierversuche e.V. verzeichnet derzeit etwa 600 Ärztemitglieder bei einer Gesamtmitgliederzahl von ca. 2000. Nicht nur Ärzte können uns unterstützen und Mitglied werden, sondern auch Wissenschaftler aus allen anderen naturwissenschaftlichen Fachgebieten und auch Nichtwissenschaftler. Unsere Expertise ist die wissenschaftliche Argumentation gegen Tierversuche, dafür haben wir auch eine AG Wissenschaft. Bei Interesse kann diese sehr gerne kontaktiert werden.

Auf dem aktuellsten und neuesten Stand ist in der Medizin, wer erkennt, dass das derzeit bestehende System der Reparaturmedizin keine dauerhafte Zukunft hat. Prävention und Gesundheitsförderung sind die Stichwörter der Zeit.

achso, 30.06.2015

unwissenschaftlich

Dass Frau Kühner wissenschaftlich argumentiert, stimmt leider nicht.

Sie postuliert einfach, dass Tierversuche generell unwissenschaftlich seien, bringt aber kein Argument, das selbst auch nur ansatzweise wissenschaftlich wäre.

Tierversuche führen oft in die Sackgasse, die meisten liefern keine konkreten Ergebnisse? Das ist die Natur jeder (natur-)wissenschaftlichen Untersuchung. Wichtig ist aber nicht nur, wie oft man scheitert (wobei auch das Scheitern neues Wissen liefert), sondern auch, was beim erfolgreichen Versuch herauskommt. Dann ließe sich natürlich darüber streiten, ob die Rechnung bei Tierversuchen aufginge … Aber indem Frau Kühner behauptet, es gäbe keinen Nutzen, und dafür als Beleg nur anführt, dass die meisten Versuche nicht gelingen, verhindert sie diese Diskussion.

Wenn es also so sein sollte, dass Tierversuche wissenschaftlicher Unsinn sind, dann müsste es doch darüber auch wissenschaftliche Arbeiten geben. Wo sind diese? Kann Frau Kühner welche zitieren? Was sie hier liefert, ist in höchsten Maße unwissenschaftlich („von wie vielen Medikamenten aus der Forschung haben Sie schon gehört“).

Außerdem sagt sie, immer mehr Wissenschaftler träten dem Verein bei. Kann sie fünf Namen von angesehenen Naturwissenschaftlern nennen?

Der Verein Ärzte gegen Tierversuche scheint sowieso seine Probleme mit der Wissenschaft zu haben: Auf der Homepage schreibt er: „Tierexperimentelle Forschung führt zu einer unzulässigen Überbewertung der naturwissenschaftlichen Basis der Medizin.“ Es geht also gerade gegen die Wissenschaft.

Überhaupt scheinen die Mitglieder des Vereins weit weg zu sein von aktueller Forschung. Der Verein möchte lieber die wirklichen Ursachen von Krankheiten erforschen, und kann beachtliche Erfolge vorweisen: „Durch umfangreiche Studien mit kranken und gesunden Menschen konnte eindeutig gezeigt werden, dass die heutigen Zivilisationskrankheiten vor allem durch Faktoren wie Rauchen, Alkoholmissbrauch, falsche Ernährung, Stress, mangelnde Bewegung usw. bedingt sind.“ Krebs, Alzheimer, Epilepsie …? Öfter mal die Treppe nehmen!

Das „Ärzte gegen“ im Namen schafft natürlich direkt Vertrauen. Hier ist es aber aus mehreren Gründen ein Problem:
1. Die meisten Ärzte haben mit der Forschung wenig zu tun (und im Studium kaum etwas über die wissenschaftliche Methode gelernt). Frau Kühner zum Beispiel hat in ihrer Promotion geschaut, ob Probanden schlechter zählen und rechnen können, wenn ihnen dabei emotionale Gesichter gezeigt werden (so verstehe ich als Laie zumindest ihr Thema). Prädestiniert sie das nun dazu, über den Nutzen von Tierversuchen in der Alzheimer-Forschung zu urteilen? 2. Es ist nicht klar, wie viele der Vereinsmitglieder tatsächlich Ärzte sind. Die Kölner Gruppe zum Beispiel führt eine Fotografin auf, einen Kaufmann, zahlreiche Psychologen und sogar eine Reiseverkehrsfrau – aber keinen einzigen Arzt: http://www.aerzte-gegen-tierversuche-koeln.de/ueber_uns.html

Ich selbst bin tendenziell gegen Tierversuche. Gerade in der Medizin bin ich mir aber nicht so sicher und halte es für eine schwierige Frage. Eine ernsthafte, auf wissenschaftlichen Grundlagen basierende Diskussion über Nutzen und Schaden dieser Versuche wäre sicherlich sehr interessant. Frau Kühner und ihr Verein scheinen mir mit ihrer fragwürdigen Selbstdarstellung und mit unwissenschaftlichen Argumenten diese Diskussion jedoch eher zu verhindern, als einen Beitrag zu leisten.

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