Donnerstag, 29. Juni: Vier Tage und Nächte lang steht die Domstadt 2023 nun bereits zum 15. Mal ganz im Zeichen der „Kölner Kino Nächte“. Mit Unterstützung des Kulturamtes der Stadt Köln bringt die freie Filmszene der Stadt gemeinsam mit hier ansässigen Filmfestivals und Kinoinitiativen an dreizehn verschiedenen Spielstätten insgesamt 40 Filme zur Aufführung. Am Eröffnungsabend im Filmhaus Kino erläuterte Joachim Kühn, einer der Mitbegründer, dass die „Kölner Kino Nächte“ entstanden seien, weil damals ein „großes, zentrales Film-Leuchtturmprojekt für Köln“ gefehlt habe. Mittlerweile hätte sich das zwar insgesamt positiv verändert, aber die seinerzeit angestoßenen Kooperationen zwischen der Stadt Köln und den freien Initiativen habe sich ebenfalls „sehr, sehr gut entwickelt“. Der Eröffnungsfilm „Thomas Schütte – Ich bin nicht allein“ passe wunderbar in das Konzept der Kölner Kino Nächte, denn Regisseurin und Produzentin Corinna Belz lebt und arbeitet in Köln. Als zusätzlichen Präsentator der Veranstaltung hatte man sich die Filmsociety mit ins Boot geholt. Deren Programmleiter Christian Meyer-Pröpstl merkte an, dass die Filmsociety als Sektion des Kunstsalons, der sich ansonsten auch mit Schauspiel, Literatur, Tanz und bildender Kunst beschäftige, an einer interdisziplinären Veranstaltung wie Belz‘ Dokumentation über den Künstler Schütte natürlich gleich doppelt interessiert sei.
Dreharbeiten ohne fixes Konzept
Im Publikumsgespräch nach der Filmprojektion erläuterte Corinna Belz, dass es ihr zu Beginn des Projekts im Jahr 2020 noch nicht klar gewesen sei, dass ihr Film später so viele verschiedene Protagonisten haben werde. „Ein Drehbuch gibt es bei einem Dokumentarfilm selten, auch ich hatte hier lediglich ein grobes Treatment und wusste nie so genau, was bei den Dreharbeiten passieren würde“, so die Filmemacherin. Belz‘ Kamerafrau Jule Katinka von Cramer, die ebenfalls im Kino zu Gast war, erläuterte, dass insbesondere die Szene in der Glasbläserei in Venedig „sehr aufregend“ gewesen sei. „Es war von Anfang an klar, dass diese Szene nicht wiederholbar sein würde. Trotzdem gab es kein durchgeplantes Kamerakonzept. Stattdessen musste ich die anderen Menschen beobachten und mich wie bei einer Tanzchoreografie in deren Bewegungen einfügen“, erinnerte sich von Cramer. Auch, dass die Figur „Nixe“ am Ende eine solch zentrale Position im Film einnehmen würde, stand bei Beginn der Dreharbeiten noch gar nicht fest. Da dem Team in New York, wo 2024 im Museum of Modern Art eine Ausstellung zu Thomas Schütte eröffnen werden soll, lediglich zwei Drehtage zur Verfügung standen, entstand für Belz hier ein „Ereignisdruck“. Dass Kuratorin Paola Antonelli beim Interview im MoMA einen Fokus auf die „Nixe“ legte, erwies sich im Nachhinein als Glücksgriff, weil Belz von dort an deren Entstehungsprozess im Film rückwärts erzählen konnte.
Genau zum richtigen Zeitpunkt
Belz hatte Thomas Schütte erstmals 2012 in Zusammenhang mit einem anderen Projekt kontaktiert, doch erst rund zehn Jahre später ließ sich der gemeinsame Film schließlich realisieren. Die Regisseurin vermutet, dass es immer einen ganz bestimmten Punkt gibt, an dem eine solche Kooperation möglich wird. Das sei auch bei ihrem Film über Gerhard Richter („Gerhard Richter Painting“) nicht anders gewesen, der ebenfalls nicht davor und nicht danach hätte entstehen können. An Thomas Schütte hatten die Regisseurin nicht nur seine interessanten Arbeiten begeistert, sondern auch seine besonderen Eigenschaften. „Er ist gebrochen, aber auch voller Ironie. Bei ihm spürt man wenig von dem sonst weit verbreiteten Künstlerpathos, er ist vielmehr von einem großen Pragmatismus geprägt“, ergänzte Corinna Belz. Ihre Dokumentation ist seit gestern bundesweit in den Kinos zu sehen, in Köln haben das Odeon und die Filmpalette den Film weiterhin im Programm. Die Kölner Kino Nächte laufen noch bis zum 2. Juli.
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