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Heikle Gedenkkultur in Vossenack
Foto: Frank Möller

„Sicher nicht die Heimat verteidigt“

30. Oktober 2014

Frank Möller über die Erinnerungskultur am Beispiel Hürtgenwald – Thema 11/14 Frieden

choices: Herr Möller, im Hürtgenwald, nahe bei Aachen, fanden im Zweiten Weltkrieg die letzten großen Schlachten an der Westfront statt. Es war der vergebliche Versuch, den Vormarsch der Alliierten ins „Reich“ zu stoppen. Was hat die Nazi-Wehrmacht dort damals verteidigt?
Frank Möller:
Sicher nicht „die Heimat“, wie es die NS-Propaganda damals verbreitete. Offiziere und Soldaten folgten sinnlosen Durchhaltebefehlen, „bis zur letzten Patrone“ zu kämpfen. Das verlängerte den Krieg unnötig, kostete zahlreiche Leben und trug zur Verwüstung von Dörfern, Städten und Landschaften bei. Das wurde später zwar wortreich beklagt, die Ursachen wurden allerdings in aller Regel nicht benannt.

Zu den zahlreichen Gedenkstätten vor Ort gehört auch eine Installation „Windhunde mahnen zum Frieden“.

Frank Möller
Frank Möller, Foto: privat

Frank Möller ist Historiker und Publizist. Von ihm erschienen u. a.: Zukunftsprojekt Westwall. Wege zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit den Überresten der NS-Anlage, Weilerswist 2008 (hrsg. zus. m. Karola Fings); Das Buch Witsch. Das schwindelerregende Leben des Verlegers Joseph Caspar Witsch, Köln 2014, 778 S.

Zunächst: Ich will nicht ausschließen, dass einzelne Veteranen der 116. Panzerdivision, so die offizielle Bezeichnung der „Windhunde“, diese Formel ernst gemeint haben. Vor dem Hintergrund der bislang vorliegenden Fakten ist sie allerdings eher wohlfeile Folklore. Sie soll der Inszenierung vor Ort Legitimität verleihen. Und der Name? Dem Divisionskommandeur soll – so die Anekdote – an der Ostfront ein Vierbeiner zugelaufen sein. Daraus konstruierte man diese Bezeichnung. Passte ja auch zeitgerecht zu dem von Hitler formulierten NS-Ideal des „Neuen Menschen“: „Flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl“.

Welche Rolle spielten die „Windhunde“ im Osten?
Den nationalsozialistischen Rasse- und Vernichtungskrieg voranzutreiben. Dabei war die Division wahrscheinlich auch an Kriegsverbrechen beteiligt.

Warum ist die Division dann in Hürtgenwald so präsent?
Nach dem Krieg organisierten sich die Veteranen als Verband. Davon gab es in den 1950er Jahren viele. Sie dienten der Selbsttherapie, der Freizeitgestaltung, vor allem aber der politischen Interessenvertretung. Die Veteranenverbände forderten als eine ArtSchutzgemeinschaft die Anerkennung ihrer soldatischen „Leistungen“. Politiker, Medien und Wissenschaftler, die die Wehrmacht wegen ihrer verbrecherischen Praktiken als Ganzes in Frage stellten, wurden von ihnen bekämpft.

Noch einmal: Warum wurde Hürtgenwald so wichtig?
Das ist wohl persönlichen Verbindungen geschuldet. Seit Mitte der1950er Jahre pilgerten die Veteranen einmal jährlich zu Hunderten dorthin. Der damalige Bürgermeister, Baptist Palm, spielte dabei eine wesentliche Rolle; er war selbst ein ehemaliger „Windhund“. 1966 wurde mit Zustimmung von Kreis und Gemeinde sogar ein eigenes Gedenkareal eingerichtet, auf dem die alte Kameradschaft beschworen wurde. Hier trotzte man auch dem zunehmend kritischeren Zeitgeist. Bis heute ist dort zum Beispiel zu lesen: „Tritt ein mit Ehrfurcht vor dem Opfertod der Soldaten aller Nationen, die im Hürtgenwald starben.“ Hier sind alle toten Soldaten Opfer, egal, ob sie für ein rassistisches System mordeten oder die Welt von der NS-Pest befreit haben.

General Gerhard Graf von Schwerin, bis Ende 1944 Kommandeur der „Windhunde“, galt lange Zeit als angeblicher Retter von Aachen, weil er die Schlacht um die Stadt vermieden haben soll.
Hat er nicht. Der Mythos wurde gerade von den „Windhunden“ gepflegt. Ein 2007 im Auftrag der Stadt Aachen vorgelegtes Gutachten belegt das Gegenteil. Die Studie von Christoph Rass, René Rohrkamp und Peter Quadflieg ist auch über den Buchhandel erhältlich.

Auf der Kriegsgräberstätte Vossenack, die heute zur Gemeinde Hürtgenwald gehört, ruht auch der einstige NS-Generalfeldmarschall Walter Model.
Model war der Oberkommandierende der Heeresgruppe B, deren Einheiten im Hürtgenwald gekämpft haben. An der Ostfront war er mit seinen Männern an zahlreichen Gräueltaten gegen Zivilisten beteiligt. Noch wenige Tage vor Kriegsende hat er Todesurteile gegen Zivilisten unterschrieben, die sich ergeben wollten. Am 21. April 1945 beging Model im Ruhrkessel bei Duisburg Selbstmord und wurde dort begraben. Weil er angeblich den Wunsch geäußert hat, bei seinen Kameraden beerdigt zu werden, wurden seine Überreste 1955 exhumiert und nach Vossenack gebracht. Warum das tatsächlich geschah, lässt sich heute nicht mehr genau klären. Fest steht aber: Um ihn in der Mitte des hiesigen Gräberfeldes platzieren zu können, hat man einen dort bereits ruhenden unbekannten Soldaten an den Rand des Friedhofs verlegt.

In einer Abschiedsbotschaft hat Model auch vor der „Seuche“ des „jüdischen und demokratischen Giftes der materialistischen Denkweise“ gewarnt. Sind die Gedenkanlage der „Windhunde“ und der benachbarte „Ehrenfriedhof“ mit Models Grab hier die einzigen zu kritisierenden Erinnerungsorte?
Bei weitem nicht. Der Hürtgenwald ist überzogen mit fragwürdigen Erinnerungs- und Gedenkinszenierungen. In der Kirche von Vossenack gibt es ein von den „Windhunden“ gestiftetes Fenster mit ihrem Emblem. An der Kirchentür wird die nachweislich völlig überhöhte Zahl von 68.000 Kriegsopfern in der Region genannt, in der Kirche selbst wird auf drei Tafeln das schlichte Verrecken im Krieg zum „Opfertod“ verklärt. Es gibt eine Militaria-Sammlung, die als Museum firmiert und von der Gemeinde beworben wird; es gibt zahllose Kreuze, Gedenksteine, Tafeln etc. in der Umgebung. In den damit verbundenen Texten sucht man Worte wie „Nationalsozialismus“, „Vernichtungskrieg“ etc. vergeblich. Es gibt nur Opfer, keine Täter. Zum sog. „Hürtgenwaldmarsch“ treffen sich Militariafans aus allen Landen. Sie marschieren, mitunter begleitet von Reenactment-Gruppen zur – na, was wohl – zur „Völkerverständigung“.

Diese Fakten sind teilweise seit längerem bekannt. Warum hält sich diese Art des Erinnerns vor Ort so hartnäckig?
Weil sie seit Jahrzehnten sowohl von der politischen Mehrheit in der Gemeinde wie im Kreis Düren als auch von der Kirche und von Teilen der Bundeswehr unterstützt wird. Die ländliche Lage mit dominantem katholischen Milieu und starker christdemokratischer Ausrichtung hat das begünstigt. In diesem Soziotop hatte nicht nur die Reduzierung der NS-Zeit auf rein militärische Zusammenhänge einen hervorragenden Nährboden. Dazu wurde die verengte Sicht durch die „Windhund“-Veteranen noch einmal eingeengt.

Von denen dürfte heute allenfalls noch eine Handvoll leben.
Das ist richtig. Der sog. „Familienverband“ der „Windhunde“ hat sich aufgelöst. In seine Fußstapfen ist aber im Jahr 2000 der Förderverein „Windhunde mahnen zum Frieden“ getreten. Er fühlt sich dem „Erbe“ dieser Truppe verpflichtet und organisiert auf der Gedenkanlage alljährlich seine Treffen mit Kranzniederlegung bei Fackelschein. Die Bundeswehr begleitet übrigens.

Wen sprechen derartige Rituale denn heute noch an?
Kaum noch jemanden. Entscheidend ist aber etwas anderes. Die Fokussierung auf die „Windhunde“ hat andere Formen der Beschäftigung mit der Regionalgeschichte zugedeckt. Wie lebte die Bevölkerung vor 1933? Gab es Juden, Sozialdemokraten, Kommunisten in den ländlichen Gemeinschaften? Wie verhielt sich die Mehrheitsbevölkerung ihnen gegenüber? Half man Verfolgten? Verriet man sie? Wer profitierte von den Arisierungen jüdischen Besitzes? Wie ging man mit den Opfern des NS-Staates nach 1945 um? Gab es Rückübertragungen von Eigentum oder Entschädigungen? Das wären nur ein paar Fragen, die sich eigentlich hätten aufdrängen müssen.

Haben bei den Gedenkritualen auch rechtsradikale Gruppierungen eine Rolle gespielt?
Natürlich, die Gemeinde Hürtgenwald besitzt mit der Militaria-Sammlung, der Kriegsgräberstätte, dem „Windhund“-Areal, der von den „Windhunden“ überformten Kirche sowie den jährlichen Veranstaltungen ein natürliches Anziehungspotenzial für Rechtsextreme unterschiedlichster Provenienz. Das wird trotz vorliegender Fotobelege von Angehörigen des Fördervereins der „Windhunde“ ebenso in Abrede gestellt wie von den Akteuren des lokalen Geschichtsvereins, der die Militaria-Sammlung betreibt. Ich empfehle dazu einen Blick in die Besucherbücher der Sammlung. Dort finden sich Einträge wie „Die Treue ist das Mark der Ehre“ vom Stahlhelm Landesverband Pfalz, unterzeichnet u. a. von Hans Jürgen Hertlein, einem laut Verfassungsschutz amtsbekannten Rechtsextremisten aus Kaiserslautern. Es gibt Fotos vom Oktober 2012, die den Schweizer Bernhard Schaub, einen einschlägig bekannten Geschichtsrevisionisten und Holocaust-Leugner, neben Johann Thießen am Eingang der Sammlung zeigen. Thießen kommt aus Hürtgenwald selbst und gehört rechtextremen Kreisen an. Ein weiteres Foto zeigt die Gruppe auf dem „Windhund“-Areal. Ich selbst habe auf der Kriegsgräberstätte Vossenack Kränze gefunden, auf deren Schleifen „Kriegsgräberstiftung Wenn alle Brüder schweigen“ zu lesen war. Diese „Stiftung“ ist eine Art Nachfolgeorganisation der HIAG, der „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS“, einem einschlägigen Lobbyverband. Man könnte diese Auflistung fortsetzen.

Die beiden regionalen Kriegsgräberstätten befinden sich doch unter Aufsicht der Deutschen Kriegsgräberfürsorge.
Hier hat man immerhin schon 2008 reagiert und eine Friedhofsordnung erlassen, die Aufmärsche mit Fahnen etc. verbietet und auch untersagt, soldatische „Leistungen“ im Rahmen der Wehrmacht losgelöst vom nationalsozialistischen Terrorregime zu betrachten. Das war auch eine Reaktion auf regelmäßige Aufmärsche der NPD und rechtsradikaler Kameradschaften im Umfeld des Volkstrauertags.

Trotz alledem: Gibt es in Hürtgenwald noch Hoffnung auf eine Besinnung auf die tatsächlichen Zusammenhänge des NS-Systems und seiner Angriffs- und Vernichtungskriege?
Schwer zu sagen. In diesem Jahr haben immerhin engagierte Lehrer und Schüler des katholischen Franziskus Gymnasiums Vossenack auf der benachbarten Kriegsgräberstätte eine Aktion für den Frieden durchgeführt und in einer beeindruckenden Choreografie eine riesige Friedenstaube nachgestellt. Ein Geschichtskurs der Schule hat sich mit dem Zweiten Weltkrieg vor Ort und dem „Windhund“-Gedenken auseinandergesetzt und eine alternative Gestaltung der Gedenkstätte vorgeschlagen. Die derzeitige Präsentation haben die Schüler rundweg abgelehnt. Es gab eine Tagung „Hürtgenwald – Perspektiven der Erinnerung“, auf der sie ihre Ideen sehr selbstbewusst und professionell präsentiert haben.

Wird die Politik vor Ort den Schüler-Vorschlag zur Kenntnis nehmen und vielleicht umsetzen?
Ob der Vorschlag aufgegriffen wird? Vor fünf Jahren stand schon einmal eine Überarbeitung der Schrifttafeln an, die sich auf dem „Windhund“-Gelände befinden. Die damals neuen Texte banalisieren bis heute das Kriegsgeschehen ebenso wie sie die fragwürdigen Taten der „Windhunde“ heroisieren. Sie wurden seinerzeit in schöner Eintracht von Gemeindebürgermeister, Landrat und dem heutigen Vorsitzenden der CDU Hürtgenwald kritiklos eingeweiht. Jetzt sind wieder die gleichen Personen gefragt. Will man sich diesmal den neuen alten Fragen stellen? Schüler sind ja auch künftige Wähler – auf der anderen Seite stehen die Militaria-fixierten Akteure und die „Windhund“-Freunde vor Ort. Vielleicht sind die jungen Leute ja so etwas wie ein Katalysator, um die gesamten fragwürdigen Erinnerungsinszenierungen und -rituale in und um die Gemeinde herum erneut zu hinterfragen. Der Ausgang dieses Prozesses ist offen. Letzten Endes ist das eine Frage des politischen Willens.

In Hürtgenwald soll auch die Wanderausstellung „Liberation Route Europe“ Station machen.

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Interview: Wolfgang Hippe

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