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Rundum Oberfläche

21. Dezember 2017

James Rosenquist im Museum Ludwig – kunst & gut 01/18

Plötzlich steht man vor – oder genauer: – in diesen meterlangen Bildern und weiß gar nicht, wo man mit dem Sehen anfangen soll. Wie gewohnt, von links nach rechts? Dann muss man an den Anfang laufen. Oder doch kopfüber mitten in den Sog und sich dann nach allen Seiten durch das Bild tasten? Der Malerei, die zwischen entrückt weicher Glätte und erkennbarem Pinselduktus wechselt, folgen? So ungefähr muss es James Rosenquist selbst ergangen sein, als er in den 1950er Jahren riesengroße Reklamewände in Manhattan gepinselt hat, also aus nächster Nähe. Was er gemalt hatte, konnte er nur mit Abstand erkennen, also erst von unten auf der Straße. Von hier aus war auch das zu bewerbende Motiv in den Zusammenhang der ebenfalls gemalten Schrift eingebettet. Und damit lag das künftige Programm für eine Karriere unter dem Label der sich erst noch ausbildenden Pop Art vor.

James Rosenquist, der 1933 in North Dakota geboren wurde und im März 2017 gestorben ist, gehört zur ersten Generation der US-amerikanischen Pop-Art-Maler, in einer Reihe mit Andy Warhol, Robert Indiana oder Roy Lichtenstein. Rosenquist hat riesengroße, deshalb oft mehrteilige Bilder mit einzelnen Konsumgütern und Gebrauchsgegenständen geschaffen, die prägnante Zeugnisse der amerikanischen Gegenwart sind. Aus ihrem Zusammenhang gerissen und vergrößert, dabei räumlich empfunden, wirken sie schon für sich beunruhigend und unbegreiflich. Und sie mischen sich wie selbstverständlich – also ohne zu werten – mit Dingen aus anderen Bereichen. Rosenquist nimmt dabei kritisch oder protestierend Stellung zum Zeitgeschehen, etwa zum Vietnamkrieg. Er malt einen Jagdbomber. Dann wieder bezieht er sich auf Watergate und auf die Genforschung; zeitweilig hat er Filmstars gemalt und damit den Starkult und die Selbstvermarktung thematisiert. Aber er dachte beim Malen auch an Monets Seerosenteich: Der Betrachter soll (ebenso wie der Maler) regelrecht in die Bilder eintauchen, wie Rosenquist gesagt hat. Und er spricht, in Anlehnung an Barnett Newman, vom „peripheren Sehen“ – also dass die Ränder der Bilder in den Augenwinkeln mitflimmern. So konkret, realistisch die Bilder von Rosenquist sind, so abstrakt sind sie zugleich. Dazu tragen die malerischen Wirbel und die Verzerrungen, Längungen bei, die er übrigens mit einfachen Mitteln erzeugt hat: Er hat die Reflexion der Gegenstände auf gewölbten Spiegelfolien fotografiert und die Fotografien dann mit Quadrierungen auf die Leinwände übertragen. Oft sind die Motive in ein kühles Blau eingefasst; damit und mit den ungewöhnlichen Perspektiven bezieht sich Rosenquist vielfach noch auf die Weltraumfahrt, die in den 1960er und 70er Jahren in aller Munde war und zugleich für endlose Weite und Verlorenheit steht.

Die Ausstellung im Museum Ludwig ist eine Retrospektive, die folglich auch das Frühwerk berücksichtigt, als Rosenquist noch mit Assemblagen und mit Leerstellen innerhalb der riesigen Tableaus gearbeitet hat – schon das ist selten ausgestellt. Verdienstvoll ist aber auch, dass die Schau Filmdokumentationen und vor allem Rosenquists Ausgangsmaterial zeigt. Die Zeitschriftenseiten und Fotos, die ihn inspirierten oder direkte Vorlagen waren, sind in Vitrinen zusammengestellt. – Und vom Kleinen ins Große: Die Ausstellung beinhaltet außerdem die drei Räume, welche er zwischen 1964 und 1970 geschaffen hat: In ihnen verwirklicht er realiter die Idee, dass der Betrachter physisch von den Bildern umgeben ist. Ebenso wie er Wahrnehmungsfragen anspricht, thematisiert er – über die spezifischen Anliegen hinaus – die Macht der Bilder: ein Aspekt, der heute mehr denn je aktuell ist. Einer der Räume, „Horse Blinders“, befindet sich, unlängst restauriert, in der Sammlung des Museum Ludwig. Spätestens mit diesen Installationen aber avancierte Rosenquist, der bereits ab 1964 zu den Künstlern der berühmten Galerie von Leo Castelli in New York gehörte, zu einem der angesagten Pop-Art-Maler weltweit. Die grandiose Köln Ausstellung bestätigt: zu recht.

James Rosenquist – Eintauchen ins Bild | bis 4.3. | Museum Ludwig | 0221 22 12 61 65

THOMAS HIRSCH

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