Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, befand sich Pablo Picasso in einer relativ sicheren Situation. Seine Bekanntheit schützte ihn. Aber im Herbst 1939 zog die deutsche Wehrmacht durch Royan, wo er sich niedergelassen hatte; nach dem Waffenstillstand im Juni 1940 übersiedelte er nach Paris, wo sich die intellektuelle Szene informiert hielt. Dass er alles andere als weltfremd war, bestätigt die Korrespondenz mit den Freunden, die auf der Flucht waren. 1937 hatte er das Monumentalgemälde „Guernica“ gemalt, in Reaktion auf die Bombardierung im Spanischen Bürgerkrieg. Von nun an wählte er die Sprache der Verschlüsselung, blieb aber dem Drastischen verpflichtet: Das zeigt derzeit eine Ausstellung in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf, die vom Musée de Grenoble konzipiert wurde.
Erst allmählich wird deutlich, was in den Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen passiert. Picasso malt Porträts, Frauen – im Besonderen mit Dora Maar als Modell – und Stillleben. Längst hatte er seinen Triumphzug durch die Ismen der Avantgarde vollendet; seine Malerei verband nun Expressionismus und Kubismus mit dem Surrealismus. Fläche und Raum sind in Kippbewegungen begriffen, vorgetragen mit graphischer Sicherheit und Schärfe. Picasso schält die Formen aus der Farbmasse heraus. Gewiss liegt es an den langwierigen Vorbereitungen, aber auch an Picassos Sensibilität für die Zeit, dass in den Kriegsjahren so wenige Bilder entstanden und nun folglich ausgestellt sind. Aber die Gemälde, die in Düsseldorf ausgestellt sind, sind Meisterwerke. Allenthalben finden sich Vergitterungen, Stierköpfe und Totenschädel. Grimassen nehmen enge fahle Innenräume ein. Die Frauenbildnisse bestehen aus spitzen Winkeln, die Finger sind Messer, die Gliedmaßen sind verzerrt und deformiert, die Luft scheint abgeschnürt. Erschütternd ist das Bild eines nackten Jungen, der auf dem Boden sitzt und eine Languste wie ein Zepter hochhält: Hier bedient sich Picasso all der Symbolik und Psychologie, um die Betroffenheit deutlich werden zu lassen … Die Ausstellung dieser extrem intensiven, niemals schönen Bilder konnte bis August verlängert werden, zum Glück.
Picasso | bis 30.8. | Kunstsammlung Düsseldorf | 0211 838 12 04
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Menschen allein
Lars Eidingers Ausstellung „O Mensch“ in Düsseldorf – Kunst in NRW 10/24
Aus anderer Perspektive
Szenenwechsel der Sammlung im K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 09/23
Zeitgeschichte als Skulptur
Reinhard Mucha in der Kunstsammlung NRW – Kunst in NRW 11/22
Die Fakten zu den Bildern
Marcel Odenbach in Köln und Düsseldorf – Kunst in NRW 12/21
Stille Denkfabrik im White Cube
Christoph Schlingensiefs „Kaprow City“ in Düsseldorf – kunst & gut 08/21
Ein Spiegel der Zeit
Die Absolventen der Kunstakademie in K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 03/21
Aus der Heimat in die Welt
Ai Weiwei in Düsseldorf – Kunst in NRW 08/19
Ein neuer Blick auf die Kunst
Eine „ex-zentrische Moderne“ in Düsseldorf – Kunst in NRW 02/19
Realität als Kakophonie von Nichts
Die US-Amerikanerin Lutz Bacher im Düsseldorfer K21 – Kunstwandel 10/18
Zwei Farben
Carmen Herrera in Düsseldorf – Kunst in NRW 03/18
Im Takt
Leunora Salihu im K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 07/17
Aus der Ferne sehr nah
Andreas Gursky in Düsseldorf – Kunst in NRW 09/16
Malerische Fotografie
„Foto – Kunst – Foto“ im Clemens Sels Museum Neuss – Kunst in NRW 12/24
Richter daheim
Gerhard Richter im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 11/24
Noch gemalt
„Zwischen Pixel und Pigment“ in Herford und Bielefeld – Kunst in NRW 09/24
Farbe als Ereignis
Katharina Grosse im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 07/24
Farbe an Farbe
Otto Freundlich und Martin Noël in Bergisch Gladbach – Kunst in NRW 06/24
Am Anfang der Abstraktion
Hilma af Klint und Wassily Kandinsky in Düsseldorf – Kunst in NRW 05/24
Glaube und Wissenschaft
Louisa Clement im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 04/24
Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24
Ritt durch die Jahrhunderte
Die Neupräsentation im Kunstpalast in Düsseldorf – Kunst in NRW 02/24
Ende eines Jahrhunderts
George Minne und Léon Spilliaert in Neuss – Kunst in NRW 01/24
Puls des Lebens
Chaïm Soutine im K20 in Düsseldorf – Kunst in NRW 12/23
Ganz leicht
Christiane Löhr im Bahnhof Rolandseck – Kunst in NRW 11/23