Menschen sind in den Landschaften Tasmaniens eigentlich nicht vorgesehen. Deshalb wirken die weißen, adretten Bungalows in den Dünen auch eigenartig fremd. Ebenso wie die jungen Mütter, die jeden Tag mit ihren Kindern an den weiten Sandstrand ziehen. Die spießige Kleinmut britischer Aussiedler hat das wilde Land mit einer feinen Kruste Zivilisation überzogen. Auch die junge Erzählerin fühlt sich fremd in dieser Welt, in der nichts zusammenpassen will. Sie selbst ist in die Rolle der Ehefrau und Mutter geraten, ohne sich klar zu werden, was mit ihr geschieht. Während der Mann tagsüber arbeitet, verbringt sie die Zeit mit dem Baby, liest, döst vor sich hin, beobachtet ihre Nachbarin und mag sich mit den anderen Müttern nicht recht anfreunden. Immerhin, zwei Tage die Woche nimmt die Schwiegermutter das Kind. Das sind die Tage, in denen das Leben einschießt in die Welt, die ansonsten „Gleich bleibend schön“ ist. So der Titel von Helen Hodgmans bekanntestem Roman, der in der englischsprachigen Welt einen legendären Ruf genießt.
1976 geschrieben, liegt jetzt mit Anne Rademachers Übersetzung eine Prosa vor, die makellos wohltemperiert ist. Ein Leben zwischen Verpflichtungen, Tragik und Lust. Etwas Träges, Willenloses umgibt diese Erzählerin, die Dienstags und Donnerstags zum Leben erwacht, wenn sie in der nahen Stadt entweder einen Freund trifft, der eine große Kneipe führt oder den Tag mit dem Mann ihrer Freundin verbringt, mit dem sie am Nachmittag ins Bett geht. Die beiden verkleiden sich, spielen mit ihren Identitäten. Ihre Willenlosigkeit erregt ihn, zum gemeinsamen Spiel gehört, dass er sie mit einem Plastikgürtel schlägt. Der Intensität des Lebens muss auf die Sprünge geholfen werden, und sei es, dass der Trip aus dem Alltag mit dem Busfahrer auf der Rückbank sein Ende findet.
Helen Hodgman vermag ihre Geschichte perfekt zwischen Überdruss, erotischem Nachglühen und einer Langweile auszubalancieren, die auch einen Schuss trockenen Humor enthält. Ihre Erzählerin stolpert durchs Leben, die Katastrophen ereignen sich neben ihr, scheinbar ohne auf sie abzufärben. Sie vermag den anderen nichts zu geben, beobachtet aber präzise, was um sie her geschieht, bis dann auch ihr Dasein ausgehebelt wird. Gerade weil Helen Hodgman, die in Schottland geboren wurde, aber schon früh nach Tasmanien übersiedelte, jede Dramatik herunterspielt, erhält ihre Prosa eine wunderbar drängende Intensität. Mit diesem Debüt vermochte sie sich als Autorin sofort zu etablieren, auch die beiden folgenden Romane brachten ihr Preise und viel Aufmerksamkeit. Dann erkrankte sie 1983 an Morbus Parkinson und ihr Name verschwand aus den Feuilletons. Jetzt ist die Neugierde umso größer auf ihre beiden folgenden Werke, die in Australien zum Kanon der Modernen Literatur zählen.
Helen Hodgman: Gleich bleibend schön. Deutsch von Anne Rademacher. Albrecht Knaus Verlag. 192 S., 17,99 €
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