choices: Herr Gloria, Bochum Total jährt sich 2010 zum 25. Mal. Was ist zum Jubiläum geplant?
Marcus Gloria: Das 25. Jubiläum ist das Jubiläum, und obwohl es ein Jubiläum ist, werden jetzt aber nicht die alten Leichen aus dem Keller gekramt und wir lassen deshalb Bands, die vor 24 oder 25 Jahren mal wichtig waren, auftreten. Das ersparen wir uns, den Bands und dem Publikum.
Eigentlich hat Bochum Total keine Werbung nötig. Denn die beste Werbung produziert es selber. Immer wenn es Mitte Juli im „Großraum Bochum zu Verkehrsstörungen wegen einer Musikveranstaltung“ kommt, ist das Festival in der Mitte des Ruhrgebiets der Verursacher. So bekommt auch der verschnarchteste Ruhrie mit, dass die Zeit für die Fahrt in Richtung Bochum gekommen ist. Alleine bleibt man dort auf keinen Fall. Bis zu einer Million Besucher rund um das Bermudadreieck zählen die Organisatoren um Marcus Gloria (siehe Interview) mittlerweile.
Wer in den letzten fünfzehn Jahren im Ruhrgebiet ausgegangen ist, der dürfte Thomas Geier schon...
Schön, dass die Welt Platz hat für ganz schrille Typen. Erika Stucky, Performance- Künstlerin mit Schwerpunkt Musik, fühlt sich zwischen den wilden Bergen im Wallis wohl – eine Heidi des 21. Jahrhunderts. Mit Mensch und Tier lebt sie hier in Harmonie – zumindest lässt sie sich mit Ziegen an ihrer Seite abbilden.
Egal, wie schlecht es um die Kultur im Ruhrgebiet bestimmt ist, wie viele Theater und Schwimmbäder von der Schließung bedroht sind – in einem anderem Segment herrscht schon seit Jahren Konjunktur: dem der Großraumdiscos. Privatsender drehen Dokutainment im Delta Music Park, für einen Besuch in der Turbinenhalle kommen die Tanzwütigen von sehr weit her.
Jede Wurst hat zwei Zipfel. Und der Teufel scheißt immer auf den dicksten Haufen. Bedächtiges Nicken und ein stummes Genau begleiten gern solche Weisheiten. Doch worum geht es eigentlich?
Zischel, bong, bimpf. Hightech-Großrechner greifen auf Becken, Bongo und Highhat zu, punktgenaue Landung und mit der richtigen Intensität. Eine Mega-Schrankwand aus Gitterkörben, prall gefüllt mit Instrumenten vom Woodblock bis zur Wasserflaschenorgel, bildet die Hardware einer Zaubermusikmaschine namens „Orchestrion“. Pat Metheny, eigentlich Wundergitarrist aus Amerika, hat schon als Kind mit Opas Walzenklavier gespielt – er konnte nicht davon lassen. Bis heute nicht. Jetzt hat er sich seinen Kindheitstraum erfüllt und einen Musikautomaten der Jetztzeit erfunden, zwar Käfighaltung, aber nur mit Naturtönen operierend. Ein kleines Spezialistenteam hat ihm seinen aufwändigen Kinderwunsch realisiert, elektromagnetisiert und von seiner Gitarre steuerbar gefertigt – er ist der alleinige Kapitän am Steg seines Instruments. In seinen Konzerten in Köln und Dortmund rollte entsprechend zunächst ein LKW wie zum Rockkonzert vor, um das komplizierte Instrument am jeweiligen Ort aufzubauen. In Köln führten technische Probleme gleich zu einer halbstündigen Verspätung, was kritische Geister dazu bewog, doch wieder den Mensch der Maschine vorziehen zu wollen. Aber Menschen wollte Metheny gar nicht sparen oder ersetzen, er wollte vielmehr einen Musik- Golem schaffen. Die vier Elemente Erde, Luft, Wasser und Feuer hat er in seiner Maschine verwendet, im Material zum Instrumentenbau, im Gebläse für seine Flaschenorgeln, deren Pfeifentöne die Wassersäule bestimmt. Und zumindest bei seinem Kölner Besuch glimmte und rauchte eine Säule auf der Bühne mehrfach.
Es ist gerade einmal 25 Jahre her, da stellte sich die Musikindustrie in Deutschland völlig anders dar, als sie das heute tut: Es gab eine Handvoll Majorlabels, die nach und nach zu breit aufgestellten und international operierenden Konzernen der Unterhaltungsindustrie mutierten, und daneben gab es kaum etwas. Das ist heute anders: Die Majors haben sich aus weiten Teilen der ernsten Popmusik und ihrer Stilarten herausgezogen, dafür haben Independent-Labels diesen Markt übernommen. Diese Labels sind speziell in den USA und Großbritannien größer, weil traditionsreicher, in Deutschland dagegen zumeist auf kleinem Level agierend, mit wenigen Angestellten oder als Ein-Mann-Betrieb. Es gibt sie in Hamburg und Berlin in großer Zahl, auch in Köln, Frankfurt oder München. Nur im Ruhrgebiet, dem nächstgrößeren Ballungsraum des Landes, gibt es sie bloß in einigen wenigen Genres und Szenen. Während die Strukturen in Punk-Rock und Heavy Metal noch einigermaßen vorzeigbar sind, liegen sie im Bereich des Indie-Rock, immerhin eines der meistantizipierten Genres in Deutschland, nahezu komplett brach. Und nicht nur das, auch sonstige Strukturen und Netzwerke sind im Ruhrgebiet in dieser Szene die Ausnahme.
Der Retter naht. Er hat einen Berg Golddukaten zum Pressetermin mitgebracht. Und einen Esel auch. Der scheißt ihm vielleicht noch ein, zwei Münzen dazu. Wer jetzt an die Wirtschaftskrise denkt, liegt selbstverständlich falsch.
Ein wenig hatte man sich ja schon gewundert. Inmitten von deutschen Kriegstötungen und sich verschärfenden sozialen Antagonismen fällt deutschen Musikanten nichts Besseres ein, sich die Sicherheit der Zweierbeziehung als Gegengift zur „Welt, in der nichts bleibt“ zu wünschen.
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