Wir wollen der Plastischen Chirurgie gar nicht in Abrede stellen, dass ihre Angebote Heilsames ausrichten können für Körper und Seele unglücklich entstellter und verunfallter Mitmenschen. „Das Ziel der Plastischen Chirurgie ist es, die Körperform und sichtbar gestörte Körperfunktionen wiederherzustellen oder zu verbessern“, erklärt die „Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen“. Nur ist das, was uns heutzutage allerorts begegnet, weniger rekonstruiert als konstruiert. Denn: Inzwischen gilt ja bereits als entstellt, wer minimal abweicht von der ohnehin unerreichbaren Barbie-Norm. Also alle. Der Zustand existenzieller Not ist in unserer Barbieworld dermaßen heruntergepegelt, dass eigentlich jede und jeder von uns die Notwendigkeit sieht für einen Eingriff. Irgendwas ist immer, das weiß der Psychotherapeut schon seit jeher – und der Schönheitschirurg, seitdem die Kasse klingelt. Und die Bereitschaft der Patient:innen für den Eingriff steigt mit jedem Klick durch die sozialen Medien. Optimierung, Vervollkommnung, Wertsteigerung. Die Botox-Blitzinjektion nebenbei, an der Praxisrezeption der erweiterte Katalog, der die Welt weiterer Verlockungen eröffnet: Entdecke die Möglichkeiten!
Das neue Schön
Wenn jeder ein Hingucker sein will und für viel Geld und wenig Haftung werden kann, dann ist irgendwann jede und jeder ein Hingucker – und somit bald niemand mehr. Kreisch! Die ewige Angst aller Liftlinge: Das Ungeliftete ist das neue Schön, zuletzt erst im Kino schmerzvoll karikiert in der norwegischen Satire „Sick of myself“, in der eine junge Frau auf Deformierung setzt, um Aufmerksamkeit zu erregen. Ja, die Leinwand: Sie vermag, uns satirisch die Augen zu öffnen – und manifestiert zugleich das Schönheitsideal. Oder beides zusammen, wie zuletzt Greta Gerwigs …, quatsch: Mattels Blockbuster „Barbie“.
Nur: Während Greta Gerwig bei den Golden Globes leer ausging und bei den Oscars immerhin noch um „Das beste adaptierte Drehbuch“ zittern darf, war einer schon von vornherein Gewinner: Mattel. Genial: Das Puppen-Imperium produziert einen Meta-Film, der sich irgendwie nach Barbie goes feminism anfühlt, und packt gleichzeitig mehr Geld ins Marketing als in den Film selbst. Am Ende erntet das Börsenunternehmen die Lorbeeren für Greta Gerwigs feministischen Input – um mit seinem bewährten, unveränderten Produkt abzusahnen: Neu im Regal stehen jetzt bloß zusätzlich die Barbies und Kens in der Film-Variante – mit Inlineskates, im Disco-Jumpsuit, im barbie-pinken® Corvette. Wirklich neu ist, dass nun Mütter, die sich mit dem Gerwig-Input im Rücken irgendwie für feministisch geläutert erachten, ihren kleinen Töchtern die Kultpuppe mit den surrealen Körperproportionen endlich mit gutem Gewissen überantworten können – und zehn Jahre später dann das erste Lifting hin zur Greta-Barbie gleich mit dazu!
Trotz „Barbie“ bleibt Barbie Barbie. Auch wenn Margot Robbies Version im Film irgendwann die Schminke weg lässt – im Regal landet sie so nicht. Da mag der Film gewitzte Brüche noch und nöcher aufweisen – das Produkt bleibt – never change a running product – der ironiefreie Klassiker. Und der wird in Kinderhand wohl kaum im Sinne von Gerwig mit Leben gefüllt. Für die Kleinen blieb nach dem Kinobesuch dieser FSK 6-Blase ohnehin nichts hängen außer einer großen Barbieland-Party. Mattel macht mit „Barbie“ keine Kehrtwende, Mattel bewahrt den Status quo. Und der setzt weiterhin vor allem eins: Selbstoptimierungsanreize!
Solange man Menschen noch nicht züchten darf
Aber nach Optimierung strebt der Mensch ja ohnehin schon immer, und in den letzten Dekaden ging’s dann eben auch dem eigenen Körper an den Kragen. Geübt hat der Mensch dafür schon seit Jahrtausenden am Tier, wenn er sich Hunde und Katzen immer schöner züchtet, weil schöner geht immer. So werden Tiere durch Zucht und Ordnung in den lebenslangen Erstickungstod geschickt (der Mops: FCI-Gruppe 9, Sektion 11, Standard Nr. 253) oder in Serie ihres Fells beraubt (Nacktkatzenrassen). Alles Produkte irrer Qualzucht, an sich kein appetitlicher Anblick – und damit scheinbar erst recht en vogue. Und solange man Menschen noch nicht züchten darf, setzt man halt Messer oder Botoxnadel an. Freiwillig! – insofern der Wille heute noch frei ist, vor allen bei den vielen jungen, Social Media-Junkies, die sich, manipuliert und befeuert durch medial geschürte Ängste, sekündlich vergleichen, abgleichen, gleichgleichen. Die so viel Schönes sehen und dabei den Blick verlieren für ursprüngliche Schönheit. „Wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Vielleicht sollte man tatsächlich besser den Spiegel fragen und nicht dem eigenen Blick ins Spiegelbild trauen. Aber den Spiegel fragt ja keiner mehr. Heute fragt man sein Smartphone – den Märchenspiegel 2.0.
UNHEIMLICH SCHÖN - Aktiv im Thema
aes.ch/sportsucht | Die Arbeitsgemeinschaft Ess-Störungen (AES) klärt über Sportsucht auf.
sporthilfe.de/socialmedia/studienergebnisse | Die Deutsche Sporthilfe befragte Leistungssportler, welche Rolle soziale Medien für ihren Sport spielen.
sportschau.de/mehr-sport/bodybuilding-social-media-100.html | Kritisches Video über den Einfluss von Bodybuilding-Influencern auf junge Menschen.
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