Donnerstag, 24. Juni: Die Wiedereröffnung der Kinos wird nach den langen Monaten der Pandemie-Zwangspause von vielen sehnsüchtig erwartet. Der kommende Donnerstag, der 1. Juli, wurde bundesweit als Stichtag hierfür festgelegt. In Kommunen mit dauerhaft niedrigen Inzidenzwerten ging es teilweise schon im Juni wieder los. Gute Karten haben auch Open-Air-Veranstaltungen, bei denen weder Testergebnisse vorgelegt noch am Sitzplatz Masken getragen werden müssen. Die Kinogesellschaft Köln nutzte die spontan wieder neu geschaffenen Möglichkeiten, um mit der NRW-Premiere von Gesa Hollerbachs Dokumentarfilm „Landretter“ ihre traditionellen Open-Air-Vorführungen im Innenhof des Museums für Angewandte Kunst Köln (MAKK) zu starten. Gleichzeitig gaben sie mit der Vorführung den Startschuss für die diesjährige Ausgabe des „Stranger Than Fiction“-Dokumentarfilmfestivals, das eigentlich immer im Januar stattfindet. „Das Jahr 2021 fängt kulturell gerade erst an“, kommentierte Festivalleiter Joachim Kühn den Umstand dieser fünfmonatigen Verspätung, die nun dazu genutzt wird, um in den nächsten vierzehn Tagen noch drei weitere Open-Air-Projektionen ins Festivalprogramm einzubinden. Den Abschluss macht am 9. Juli die Vorführung von „Haldern Pop“ ebenfalls im MAKK, womit sich dann auch inhaltlich ein Kreis schließt, weil es auch dort um das Leben in einem Dorf geht.
Geschichten aus kleinen Dörfern
Gesa Hollerbachs Film wurde bereits in der Vor-Produktion mit dem Gerd-Ruge-Stipendium der Film- und Medienstiftung NRW gefördert, einer laut Kühn deutschlandweit beispiellosen Entwicklungsförderung, deren Vorteile am Abend auch Erik Winker, einer der Produzenten der Kölner Corso-Film, darlegte. „Schon vor dem Dreh war das Projekt in einem guten Zustand“, lobte Winker die Filmemacherin, die mit „Die Mühen der Ebene“ 2012 einen Film über den erst 27jährigen Bürgermeister des niederrheinischen Monheims realisiert hatte. Die Regisseurin hatte schon unmittelbar im Anschluss an diesen Film mit den Recherchen für „Landretter“ begonnen, der zunächst als eine Dokumentation über Dorfleben und Dorfstrukturen konzipiert war. Im Laufe der Jahre hatte Hollerbach viele spannende ProtagonistInnen kennengelernt, von denen es nun aber nicht alle in den fertigen Film geschafft haben. Am Ende bilden drei parallel erzählte Handlungsstränge das Gerüst von „Landretter“: Karin Berndts Engagement als Bürgermeisterin im sächsischen Seifhennersdorf, wo diese gegen die Schließung einer Mittelschule und die dadurch verstärkte Landflucht kämpft; die Anstrengungen der Bäuerin und Grünen-Abgeordneten Maria Heubuch, im Europäischen Parlament in Brüssel den Landraub durch Großinvestoren zu unterbinden; sowie die Geschichte des Astronomen Günther Wuchterl und des Gastronomen Charly Schillinger, die in der niederösterreichischen Gemeinde Großmugl in der Nähe von Wien einen der dunkelsten Flecken des Landes ausgemacht haben, und den dortigen, nicht durch Lichtverschmutzung behinderten Blick auf das Sternensystem zum UNESCO-Weltkulturerbe erklären lassen möchten.
Sieben Jahre in der Produktion
Für die ebenfalls bei der Premiere anwesende Kamerafrau Jennifer Günther war die österreichische Episode die künstlerisch herausforderndste, da beim Dreh in Großmugl keinerlei Lichtquellen eingesetzt werden durften. So arbeitete sie mit besonders lichtstarken Objektiven, lobte am Abend aber auch die Farbkorrektur von Dirk Meier, durch die das Dunkel der Aufnahmen im fertigen Film besser zur Geltung gekommen sei. Als einzige der drei Geschichten war lediglich die Schulrettungsaktion in Sachsen in der Entwicklungsphase während des Gerd-Ruge-Stipendiums bereits ins Projekt eingebunden gewesen. Obwohl Gesa Hollerbach Lust zu einer Langzeitstudie hatte, war ursprünglich nicht geplant, dass sie die Bemühungen Karin Berndts von 2013 bis 2018 mit der Kamera begleitete, wie es am Ende dann der Fall war. Auch Produzent Erik Winker hatte nicht damit gerechnet, dass „Landretter“, der seine Welturaufführung 2019 im Rahmen von DOK Leipzig feierte, so lange in der Produktion sein würde. „Gesa hat während der Produktion zwei Kinder bekommen – und keine Zwillinge! Das sagt ja schon viel über die Dauer des Drehs aus“, scherzte er am Premierenabend. Hollerbach war es wichtig, bei der Auswahl ihrer Filmepisoden nicht nur auf „dramatische und super-schwere“ Themen zu setzen, sondern auch ein leichtgewichtiges Gegenstück mit einzubeziehen, das sie schließlich in der österreichischen Geschichte mit ihren beiden sehr gegensätzlichen Protagonisten gefunden hat. Ab nächsten Donnerstag, 1. Juli, startet „Landretter“ dann auch regulär im Kino, in Köln wird er in der Filmpalette gezeigt.
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