Zugang zu Kultur, speziell zum Theater – das ist die Forderung, die ASSITEJ, die Internationale Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche, in einem Manifest fordert. Damit verweist die Vereinigung auf die Artikel 13 und 31 der UN-Kinderrechtskonvention, die auch in das Grundgesetz übernommen werden sollen. Die Forderung, Kindern und Jugendlichen den Zugang zu Kunst und Kultur im Allgemeinen und Theater im Speziellen zu ermöglichen, wurde am Welttag des Theaters für Kinder und Jugendliche noch einmal in den Fokus gerückt. Das Junge Theater Bonn, das sich auf vielfältige Weise ganz besonders engagiert, lud am vergangenen Samstag zu zahlreichen Streaming-Optionen seiner aktuellen Produktionen ein. Der besondere Gedenktag endete mit einer kulturpolitischen Diskussion zum Thema.
Neben dem Intendanten des Jungen Theater Bonn und Moderator, Moritz Seibert, nahmen an der virtuellen Runde die Vorsitzende der Theatergemeinde Bonn, Elisabeth Einecke-Klövekorn, Ros Sachsse-Schadt (Kulturpolitische Sprecherin der Grünen im Rat der Stadt Bonn) und Guido Déus (CDU-Landtagsabgeordneter für Bonn und Fraktionsvorsitzender im Stadtrat) teil. In einer ersten Vorstellungsrunde knüpfte Einecke-Klövekorn an das Manifest der ASSITEJ an und befürwortete die Forderung, die Teilhabe an Kultur für Kinder in den Grundrechten zu verankern.
Kinder leben mit weniger Kultur
Alle drei Gäste waren sich darin einig, dass die Einschränkungen durch die Pandemie vor allem die Kinder und Jugendlichen besonders treffe, ebenso wie auch die Kulturbranche. „Das größte Defizit wird im Moment in den Bereichen empfunden, deren Branchen am meisten gebeutelt sind“, so Déus zu Beginn.
Auch Sachsse-Schadt äußerte sich besorgt und verärgert darüber, wie in der Pandemie mit Kultur umgegangen wird – gerade auch in Bezug auf die Angebote für Kinder und Jugendliche: „Kinder sind besonders gebeutelt durch die Pandemie und das betrifft auch ihre seelische Gesundheit, was gerne auf die Seite geschoben wird.“ Theater sei wichtig für die Reflexion, ein soziales und gesellschaftliches Bewusstsein. Sie wisse nicht, wie man die Kinder aus der aktuellen Isolation heraus erreichen könne.
Als gelungenes Beispiel für das Gelingen von Kinder- und Jugendtheater in diesen Zeiten verwies Einecke-Klövekorn auf die digitalen Produktionen des Jungen Theater, in denen es teils auch gelinge, das Medium selbst zum Thema zu machen. Sie wies aber auch auf die ‚positiven‘ Effekte der Pandemie hin: „Die Vernetzung, die wir im Moment erfahren, ist etwas, das ich gerne auch in die Zeit nach der Pandemie hinüberretten würde.“
Eine Zukunft für digitale Angebote?
Auch Moritz Seibert als Theater-Chef sah einige Entwicklungen aus der Krise heraus, die teils längst überfällig waren und die Krise auf jeden Fall überdauern sollten: „Wir werden auf jeden Fall unser Open Air-Theater fortsetzen. Geplant war das auch vor Corona schon, aber es fehlte uns der nötige Tritt, um das endlich umzusetzen. Hinsichtlich digitaler Angebote stellen wir uns natürlich wie so viele die Frage, ab welchem Punkt das zu einer Kannibalisierung wird. Die wichtigen Fragen sind also: Wer bleibt weg durch die Digitalisierung? Und wen gewinnen wir dazu? Wir haben unsere digitalen Angebote mit einer Umfrage verknüpft und dabei festgestellt, dass wir auf diesem Wege wirklich viele erreichen, die auch unabhängig von Corona normalerweise nicht ins Theater kommen könnten.“ Er sieht seine Aufgabe für die Zukunft unter anderem darin, Formate zu suchen, die für beide Wege funktionieren.
Alle Teilnehmenden zeigten sich optimistisch, dass die digitalen Formate langfristig kein Ersatz für das echte Live-Erleben sein können: „Ich bin zuversichtlich, dass das Bedürfnis rauszugehen, so groß ist, dass man lieber ins Theater geht als den digitalen Weg zu wählen“, so Sachsse-Schadt. Die Sorge, dass der Wert der Kultur durch kostenlose digitale Angebote abnimmt und das wirkliche Ereignis ins Hintertreffen gerät, ist jedoch bei allen Beteiligten groß.
Das Junge Theater scheint hier einen guten Mittelweg gefunden zu haben: Die digitalen Aufführungen wurden zu keinem Zeitpunkt komplett kostenlos, lediglich kostengünstiger angeboten. Außerdem sind diese nur zu festen Zeiten verfügbar – statt eines fest eingeplanten Theaterbesuchs mit der ganzen Familie findet sich selbige also zu einer festen Zeit im heimischen Wohnzimmer zum Theater-Schauen zusammen. „Wir haben sogar festgestellt, dass das besser funktioniert als die ganz unverbindliche ständige Verfügbarkeit“, berichtet Seibert.
Der Weg zur Wiedereröffnung
Am Ende der Diskussion stellte sich die Frage nach möglichen Perspektiven, dem ‚Wie lange noch?‘. „Das Hauptproblem ist der fehlende Impfstoff“, sagte Déus aus seiner Warte. „Wir müssen über Instrumentarien der Nachverfolgung sprechen und über die eigentlich moralische Frage nach getestet / nicht getestet und geimpft / nicht geimpft. Es ist auf jeden Fall klar geworden, dass es Kulturveranstaltern weniger um eine finanzielle Unterstützung in der Krise geht, sondern vor allem darum, wieder Besucher haben zu dürfen. Und das ist etwas, was wir unterstützen müssen.“
Sachsse-Schadt erinnerte in diesem Kontext an das gerade in Berlin angelaufene Pilotprojekt der Konzerthäuser mit Veranstaltungen mit Publikum: „Die Konzepte, die die Kulturschaffenden vorgelegt haben, funktionieren.“
Zum Abschluss betonten alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Diskussion noch einmal die bedeutende gesellschaftliche Leistung der Kultur und hierbei die Relevanz der Angebote für Kinder und Jugendliche: „Hier fällt unheimlich viel weg. Wir werden jede Menge Aufbauarbeit leisten müssen“, so Einecke-Klövekorn.
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