Völlige Dunkelheit umhüllt einen. Leise kann man ein langsames Reiben, ein Rauschen vernehmen. Das Rauschen verdichtet sich zu einem lauten Summen. Allmählich gehen die Lichter an und der Ursprung der seltsam anmutenden Geräusche ist auszumachen. Zu erkennen sind die Musiker von Public Harmony, der ersten Gruppe dieses Abends. Die drei fangen jedoch gerade erst an… Das Brummen wird immer lauter und bedrohlicher, bis es wieder zum kaum merklichen Schnarchen verstummt. Die Musiker arbeiten sich dabei auf der Bühne ab: Sie pusten, kratzen, drücken an Hebeln oder zweckentfremden Gegenstände wie eine Kette, womit sie ihren Instrumenten ungeahnte Klänge entlocken. Sie scheinen die Töne zu ‚fühlen‘ – mit geschlossenen Augen geben sie sich völlig ekstatisch ihrem Spiel hin.
Der heutige Abend ist dem Auftakt von Impakt, dem Kollektiv junger Kölner MusikerInnen gewidmet, die zusammen frei improvisierte Musik machen und eine neue Plattform dafür schaffen möchten. Das Interessante daran: Durch die verschiedenen Stile und Hintergründe der zehn Musiker erwächst eine klangliche Vielfalt, die man als Spiegel der zeitgenössischen Zeit bezeichnen kann.
Auch die zweite Gruppe, Baldiosur, operiert mit einem ebenso reichen Klangspektrum, das sich in Wellen verändert. Saxophon, Bass, und präparierte Bassdrum spielen zusammen und doch wieder für sich alleine. Immer wenn man meint, eine Melodie zu erkennen, wird einem diese Illusion kurz darauf wieder genommen und durch wildes Durcheinander, geregelt durch unbekannte Chaosgesetzte, zerstört. Neben dem akustischen Erlebnis wird dem Besucher auch auf visueller Ebene etwas geboten: Zu den unkonventionellen Spielweisen, werden Gegenstände hinzugenommen. Mit kraftvollen Bewegungen wird da eine Trommel mit Spachteln und Plastikbechern bearbeitet, fast ‚malträtiert‘.
Die dritte Gruppe, ZEHN, wartet mit Piano, Schlagzeug, Cello und Gitarre auf. Im Zusammenspiel verfallen die Musiker, versunken in ihre Instrumente, zeitweise in Trance, spielen höchst gefühlvoll, bis sie wieder aufwachen und sich selbst und das Publikum mit einem überraschend lauten Zusammenspiel überraschen. Elisabeth Fügemann, ein Mitglied des Kollektivs, verkündet: „ Wir spielen noch einen Popsong!“, und macht damit einen guten Witz, denn das was man hier zu hören bekommt, ist natürlich alles andere als Popmusik.
The unnecessary stringband bietet ein beeindruckendes Gesamtkunsterlebnis, das performative Elemente beinhält: Barfuß und mit Hosenträgern und Karohemd stilecht im Farmerlook verkleidet, mimen die vier Musiker amerikanische Volksmusiker. Sie spielen eine improvisierte Adaption von Uncle Dave Macons „Sail Away Ladies“ und ziehen das ganze Register der Improvisation: Neben den Klängen ihrer Instrumente – Geige, Gitarre Schlagzeug und Bass – blitzen eingespielte Tonaufnahmen auf, Klangschalen werden ausgepackt, selbst die mitgebrachte Rumbuddel muss als Instrumentenersatz herhalten. Irgendwann hört man Hühnergegacker auf der Bühne… Ein Gummischwein und ein Gummihuhn werden Teil der skurrilen Szenerie – aufgeblasen und über die Bühne zu den Sitzplätzen geworfen, dürfen sie den Rest des Abends bei den Zuschauern bleiben.
Nach der Pause folgen alle Besucher dem Bläsertrupp, der unmissverständlich zurück in die Konzerthalle ruft. Zuletzt tritt die große Big Band auf: „Das große Ding“ versammelt 17 Musiker aus ganz NRW auf der Bühne, die ihre Spielfreude weit hinaus in den Zuschauerraum transportieren. Beim gemeinsamen Musizieren dient die Cola-Flasche nicht nur dem Durstlöschen, spontan wird sie mit eingebunden in das wilde Treiben. Völlig enthemmt setzen die Musiker zum Höhepunkt des Festivals an. Da gibt einer Operngesänge zum Besten, während ihm die anderen gebührende Stille schenken. Im nächsten Moment spielen wieder alle zusammen und erzeugen einen fulminantes, donnerndes Klangerlebnis, das den ganzen Saal füllt.
Nächste Konzerte:
„Impakt:Kontakt # 1“: Mi 24.9. 20 Uhr | Baustelle Kalk
„Hotel-Eden Bass Gaben“: Do 25.9. 20 Uhr | Kunsthallen Rttstr5
„Impakt:Kontakt # 2“: So 2.11. 18 Uhr | Baustelle Kalk
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Brücke zwischen den Kulturen
A.G.A Trio in der Brotfabrik Bonn – Musik 03/22
Multiphonics jubiliert
Im fünften Jahr regiert die Klarinette – Improvisierte Musik in NRW 09/18
Die Stadt mœrsifizieren
Moers Festival begeistert mit Angebot und Stadtnähe – Festival 05/18
Der Klang von Pjöngjang
Das mœrs festival 2018 – das Besondere 05/18
Musik im Moment des Entstehens
Der Stadtgarten im Jahr 2018 – Kulturporträt 04/18
Schicksal Sitzungskapelle
Leev Mädcher un Junge, et jeiht widder loss – Improvisierte Musik in NRW 02/18
Traditionell und innovativ
Die Klezmerwelten 2017 in Gelsenkirchen stehen unter Dampf – Improvisierte Musik in NRW 11/17
Birne frei für freien Geist
Das legendäre Moersfestival startet in eine Neuzeit – Improvisierte Musik in NRW 05/17
Laufhaus und Jazzhaus
Ein Nein, ein Ja und ein Jubiläum in Köln – Improvisierte Musik in NRW 04/17
Der Heinzelmann heißt Heinz
Die Kölner Kinderoper feiert 20. Geburtstag – Improvisierte Musik in NRW 01/17
Klezmer für die Seele
Klezcolours spinnt einen Faden in die Neue Welt – Improvisierte Musik in NRW 11/16
Freifuftmusiken im Sommer
Ansprechende Klänge in Wuppertal und Düsseldorf – Improvisierte Musik in NRW 08/16
Befreiung durch Verwandlung
Laura Totenhagen im Stadtgarten – Musik 11/24
Zurück zur Straßenmusik
Dan & Dota in der Kantine – Musik 11/24
Noise, Rap und Migration
Zwischen Bühne und Buchdeckel – Unterhaltungsmusik 11/24
Endlich Wochenende
13. Week-End Fest im Stadtgarten – Musik 10/24
Psychedelische Universen
Mother‘s Cake im Helios 37 – Musik 10/24
Aggressive Dringlichkeit
Internationale Acts von Rock über Hip Hop bis Avantgarde – Unterhaltungsmusik 10/24
Eine Party für die Traurigen
Romie in der Maulvoll Weinbar – Musik 09/24
Heftiger Herbstauftakt
Nach Open Air wieder volles Programm in Clubs und Hallen – Unterhaltungsmusik 09/24
Kein Bock auf Sitzkonzert
Mdou Moctar im Gebäude 9 – Musik 08/24
Sommerloch? Nicht ganz ...
Volle Packung Drum‘n‘Bass, Indie, Tuareg-Blues und Black Metal – Unterhaltungsmusik 08/24
Fette Beats im Wohngebiet
Green Juice Festival 2024 in Bonn – Musik 07/24
Vielfalt, Frieden und Respekt
3. Ausgabe von Shalom-Musik.Koeln – Musik 07/24
Die Ruhe im Chaos
Emma Ruth Rundle in Köln und Bochum – Musik 07/24