Der Herbst hält in Gelsenkirchen traditionell ein Festival jiddischer Musik bereit, dass sich nicht auf passives Hören beschränkt: In Workshops wird fleißig musiziert, und es darf auch mal ausgelassen getanzt werden. Der zweite Teil dieses Festes fällt in den November und setzt ebenfalls auf Kopf und Beine: Mit Fred Wesley, dem einstigen Posaunenspieler im Tross der Soul-Legende James Brown, hält der Funk & Soul Einzug in die Klezmerwelten. Die geben sich tatsächlich betont traditionell und innovativ: Das muss in der Musik keinen Widerspruch bedeuten.
„Gefäß des Liedes“ heißt die wörtliche Bedeutung des Begriffs „Klezmer“, im Ursprung bezeichnete dies den ausübenden Musiker, der sich einer weltlichen jiddischen Musikrichtung verschrieben hat. Berühmtes Beispiel für die Beeinflussung jüdischer Komponisten durch die typischen Schluchzer und gezogenen Töne liefert George Gershwins Klarinetten-Glissando am Beginn der „Rhapsodie in Blue“. Ab den 1970ern sorgte besonders Giora Feidman nachhaltig für die Popularität und für die tolerante Durchmischung der Klezmer-Musik mit vielen anderen Stilen. In diesem Jahr tourte der Neu-Achtziger mit einem Beatles-Programm.
Berühmt ist auch die Kontaktfreudigkeit der Gruppe Klezmatics, deren erster Klarinettist David Krakauer in Gelsenkirchen die wilde Mischung aus Klezmer, Funk und Hip-Hop präsentiert. In den Staaten kam das Projekt u.a. auch mit dem kanadischen Musiker, Sample-Spezialisten, Sänger und jiddischem Rapper Josh „Socalled“ Dolgin fantastisch an und erinnerte einen Zeitzeugen an die ekstatischen Freudenausbrüche auf jiddischen Hochzeiten. Von einem total ausflippenden Publikum kann der Funker Fred Wesley berichten, der neben dem heutigen Funk-Star Maceo Parker beim originalen „Godfather of Soul“ Jahre im „Sexmachine“-Fieber verbringen durfte.
Aus Kalifornien reisen zuvor Veretski Pass an, ein Trio erweitert um den Klarinettisten Joel Rubin, die sich gemeinsam speziell auf die Fährte polnischer Klezmermusik begeben haben. Eléonore Biezunski, eine Pariserin in New York, setzt als Sängerin auf das musikalische Erbe der osteuropäischen Juden. Dieses schäumt sie mit einer kräftigen Priese Pariser Charme auf. Mit Flamenco-Spezialist Rafael Cortes an der Gitarre und dem niederländischen Akkordeonisten Nico-Jan Beckers trifft sich der Gelsenkirchener Klarinettist Norbert Labatzki zu einem Projekt-Abend in der Bleckkirche: Gipsy-Jazz meets Flamenco meets classical Klezmer.
Dass der Klezmer auch ohne Klarinette funktioniert, das beweist die Hamburg Klezmer Band um den Geiger Mark Kovnatskiy. Der gebürtige Russe lebt im weltoffenen Hamburg, wo er internationale Kontakte knüpft und ausgedehnte Tourneen startet. Wie seine Kollegen beherrscht er sein Instrument grandios, setzt aber neben die Virtuosität Groove und Lebensfreude: An letzterem sollte es auch in diesem Jahr in Gelsenkirchen nicht fehlen.
Veretski Pass: 4.11. 20 Uhr, Schloss Horst, Glashalle | Krakauer, Wesley: 11.11. 20 Uhr, Hans-Sachs Haus | Biezunski: 18.11. 20 Uhr, Schloss Horst, Glashalle | Klezmer meets Flamenco: 23.11. 20 Uhr, Bleckkirche | Hamburg Band: 26.11. 18 Uhr, Neue Synagoge | www.klezmerwelten.de
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