„Im Moment passiert eine ganze Menge“, erklärt Reiner Michalke, Programmleiter des Stadtgartens. Seit die avantgardistische Spielstätte von Stadt und Land zum Europäischen Zentrum für Jazz und Aktuelle Musik befördert wurde, gilt es, nochmals erhöhten Ansprüchen gerecht zu werden. In diesem Jahr erhält das Team dafür 600.000 Euro Zuschuss. „Klingt viel, ist aber, je nachdem, womit man es vergleicht, relativ wenig.“ Aus dem Vorjahr bleibe ein Defizit, aus dem man sich nun herausarbeite. Mit seinem Konzertsaal und dem Studio 672 steht der Stadtgarten unvermindert für rund 400 Konzerte im Jahr. „Es gibt wenige vergleichbare Orte auf der ganzen Welt“, sagt Michalke und führt dies unter anderem auf fehlende finanzielle Möglichkeiten zurück.
Umso wichtiger ist der Austausch: Bei der Gründung der „Artistic Exchange Platform“ des Europe Jazz Network hatte er die Hände im Spiel. Sie fand am 1. März zur Erstausgabe des Musikfestivals Cologne Open statt, wozu rund 30 europäische Musikveranstalter im Stadtgarten zu Gast waren.
Am Haus seien es nun vor allem das Studio 672 und allerlei kosmetische Dinge, um die man sich noch kümmern müsse – etwa die Ausgestaltung des Foyers. Die Caféteria lädt mit ruhigeren Farben und grünen Pflanzen deutlich mehr zum Verweilen ein. Heizung, Sanitär, Lüftung und Elektrik wurden schon vor wenigen Jahren erneuert. Neue Organisationssoftware soll die Abläufe erleichtern – sobald alle damit klarkommen.
Das Wesen der Musik
Während ambitionierte populäre Musik, Neue Musik und elektronische Musik im Programm eine Rolle spielen, liegt das Hauptaugenmerk im Stadtgarten auf Jazz und Improvisation. Ihn mit einem Jazzclub verwechseln, wäre schon von daher falsch, und die Trennung der Gastronomie von der Musik tut ein Übriges. „Wir haben von Anfang an versucht zu vermeiden, Barbetrieb und Konzertbetrieb in einen Wettstreit zu stellen.“ Es gebe hier nicht die Art von Jazz, „die zum Bier gereicht wird“.
Um die organisatorischen Details von der Reiseplanung über die Durchführung bis zur Nachbearbeitung kümmert sich das Konzertbüro unter Leitung von Jonna Grimstein. „Üblicherweise bewerben sich die meisten Musiker per Eigeninitiative, oder verschiedene Booker und Agenturen fragen für sie bei uns an“, erklärt sie.
Musik anzubieten, heißt für Reiner Michalke auch, mit deutscher Musikkultur umzugehen. Es gebe einen „sehr starken historischen Musikbegriff, der von Altvorderen wie Wagner, Beethoven und Mozart geprägt ist. Innerhalb dieser Musikkultur hat der Jazz eine ganz schwierige Rolle, weil er keine wirkliche Tradition hat in Europa, sondern, wenn man so will, eine afroamerikanische Musikgattung ist, die importiert wurde.“
Wenn er auch Ornette Coleman, Charlie Parker oder Miles Davis als Jahrhundertmusiker hervorhebt, lenkt Michalke das Gespräch gern auf Improvisierte Musik. „Improvisation war immer das Wesen der Musik.“ Das habe sie auch in Deutschland dem Jazz voraus: „Außer im 19. Jahrhundert war sie immer die dominante Musik. Johann Sebastian Bach war einer der größten Improvisatoren.“
Improvisierte Musik habe vor allem in südlichen Gefilden überlebt und finde von dort – oft über New York – ihren Weg zurück in ein Europa, in dem zwei Weltkriege bestimmte musikalische Entwicklungen abgeschnitten hätten. „Wenn die Musiker ihre Musikkultur aus der Heimat mitbringen und daraus was ganz Neues entsteht – das ist das Spannendste und Interessanteste überhaupt. Und da ist die Improvisierte Musik die Musik par excellence, die das transportieren kann. Die improvisierenden Musiker auf der ganzen Welt sind aus dem Stegreif in der Lage, ohne große Absprachen, ohne Proben, auch ohne die Sprache einen hochkomplexen, auch beim Publikum teilweise hochunterhaltenden musikalischen Prozess zu steuern. Seit es seit einigen Jahrzehnten diese improvisierte Musik wieder gibt, sind immer die mit Abstand interessantesten musikalischen Ergebnisse entstanden.“
Während die Musik eines Bach ohne Worte funktioniere, trifft der viel reisende Michalke im globalen Süden eher auf Verbalmusik. „Es ist interessant zu sehen, dass die hohen Abstraktionsgrade in der Musik ein Phänomen der westlichen Welt sind. Und die Künstlerinnen und Künstler aus Lateinamerika, Afrika und Asien, die sich damit beschäftigen, über kurz oder lang, auch in diese Westmetropolen auswandern, weil sie dort das Publikum finden, die Kollegen finden, die sie vielleicht in ihren Heimatregionen nicht so leicht finden.“
In Deutschland rangiere Köln als Standort für Jazz und Improvisierte Musik direkt hinter Berlin und sei „in vielen Bereichen auf Augenhöhe“. In Köln gebe es heute „ein Ensemble von Spielstätten, allen voran natürlich Stadtgarten und Loft, in einem gewissen Zusammenspiel, auch weil wir uns sehr gut ergänzen.“
Ort für Entdeckungen
Dem Publikum vorwiegend „ambitionierte Kunstmusik“ bieten zu wollen, geht damit einher, dass nicht jedes Konzert große Menschenmassen anzieht: „Wir können uns das leisten, weniger populär ausgerichtet zu sein. Wir spielen ja jetzt nicht die Lanxess-Arena, sondern wir haben maximal 200 Sitzplätze.“ Diese Art Musik laufe „immer Gefahr, erstmal vom großen Publikum nicht so verstanden zu werden“.
Versuche, gerade als Veranstalter etwa mit Einführungen ein neues Publikum für Kunstmusik zu gewinnen, hält er allerdings für zwecklos. „Wir haben das versucht, sind aber damit nicht so erfolgreich gewesen.“ Lieber setzt er auf den Drang gerade jüngerer Menschen, sich vom „allgemeinen Mittelmaß“ etwas abzuheben und vielleicht über Freunde in Neues eingeweiht zu werden. „Der wichtigste Transportweg von Informationen ist der Bekanntenkreis, der Freundeskreis, dem man also vertraut. Und ich glaube, darüber generiert sich dann auch auf Dauer ein Publikum.“
Speziell Live-Musik ist immer nochmal etwas anderes – Michalke selbst kann jedenfalls nicht mehr ohne: „Sobald die Musik aufgezeichnet ist, ist das für mich wie die Zeitung von gestern.“ Den privaten Geschmack hat sich der Programmchef auch weitgehend abtrainiert – eine Bevormundung des Publikums durch ein starkes Filtern des Angebots will er vermeiden: „Wir bewerten nicht, sondern durch unsere Auswahl – natürlich will man nicht alles machen – setzen wir Prioritäten.“ Bewertungen blieben letzten Endes Sache der Besucher. „Wenn man wie ich versucht Musik professionell zu hören, dann merkt man, wie viele verschiedene Musiken es gibt, die alle nebeneinander, jede für sich ihren Wert haben.“
Die Orientierung dabei wird neuerdings durch inhaltliche Abonnements sowie durch die übliche Palette von Konzertreihen wie JazzTrane oder „Sounds Wrongs, Feels Right“ erleichtert. „Das sind bestimmte Kuratorinnen und Kuratoren, die über längere Strecken bestimmte Ideen verfolgen“, erklärt Michalke, „und wir treffen uns regelmäßig, stimmen das ein bisschen ab, um die Profile der Reihen auch scharf zu halten.“ Das Kölner Publikum habe so die Möglichkeit, auf großer Bandbreite „top-informiert“ zu sein und „das mitzubekommen, was an aktueller Musik gerade auf der Welt passiert“.
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