Samstag, 2. Juli: Am ersten Juli-Wochenende finden traditionell die Kölner Kino Nächte statt, die 2022 zum mittlerweile 14. Mal an sechzehn verschiedene Spielorte in ganz Köln luden, wo vom 30. Juni bis 3. Juli insgesamt 40 Filme zur Aufführung kamen, viele davon mit Rahmenprogrammen und Talk-Gästen. Ebenfalls am ersten Juli-Wochenende kommt alljährlich der Colognepride zu seinem Höhepunkt, wenn sonntags mit rund einer Million Teilnehmender der größte Christopher Street Day Deutschlands gefeiert wird, an dem LGBTIQ*-Personen für mehr Rechte auf die Straße gehen. Beide Großereignisse fanden am frühen Samstagabend in der Filmvorführung von Helmer von Lützelburgs „Im Himmel ist die Hölle los“ aus dem Jahr 1984 einen gelungenen Schnittpunkt. Es war seit dreieinhalb Jahren die erste Filmveranstaltung von homochrom, nachdem deren monatliche Filmreihe und das queere NRW-Filmfest eingestellt worden sind. Doch vom 7. bis 10. Juli locken die Veranstalter zum 2. Litfest homochrom zu über 30 Lesungen und Podiumsdiskussionen das literaturbegeisterte Kölner Publikum an diverse Locations in der Domstadt. Das Filmgespräch am Abend wurde moderiert von Nachwuchsregisseur Christian Schäfer („Trübe Wolken“), der im Filmhaus Köln drei der Darsteller aus „Im Himmel ist die Hölle los“ begrüßen konnte: Ralph Morgenstern, Samy Orfgen und Dada Stievermann. Alle drei freuten sich sehr, den Kultfilm noch einmal mit Publikum auf der großen Leinwand erleben zu können und im Anschluss über den chaotischen Dreh zu sprechen.
Einen schwulen Film machen
Ralph Morgenstern, sieben Jahre lang der Moderator der ZDF-Talkshow „Kaffeeklatsch“, meinte süffisant, er hätte kein Drehbuch zum Film erhalten. Samy Orfgen, Kölner Theatergröße (Millowitsch-Theater, Theater im Bauturm, Comedia-Theater) und fernsehbekannt durch „Die Anrheiner“, bestätigte hingegen, dass es sehr wohl ein Drehbuch gegeben habe, das aber immer am Abend vor dem Drehtag umgeschrieben worden sei. „Diese Drehbuchumarbeitungen fanden in Bad Dürkheim im größten Weinfass der Welt statt“, ergänzte Dada Stievermann, mit Hella von Sinnen und Dirk Bach Mitbegründerin der Kabarettgruppe „Stinkmäuse“ und gemeinsam mit Morgenstern und Orfgen lange Jahre im Ensemble von Walter Bockmayers „Theater in der Filmdose“ in Köln. Für alle drei war „Im Himmel ist die Hölle los“ der erste größere Filmauftritt, mit dem sie einem breiteren Publikum bekannt wurden. Der vom ZDF koproduzierte Film war bereits Ende der 1980er Jahre zum Kultfilm avanciert und wurde eventmäßig in Kinos aufgeführt. Für Morgenstern stellt der Film auch ein Statement dar, denn die „im Film offengelegte Diversität“ war damals so ziemlich die einzige Möglichkeit, „einen schwulen Film zu machen“. Für ihn selbst war die Mitwirkung auch eine Art Outing, denn Morgenstern wollte „selbstbestimmt arbeiten und nicht erpressbar sein“. Andererseits hat er danach nur noch selten in Filmen mitgespielt, weil er durch die tuntige Figur Raffo direkt „in eine Schublade gesteckt worden“ sei. Auch die Tatsache, dass er rund 20 Zentimeter größer als die meisten seiner Kollegen sei, habe seiner weiteren Filmkarriere im Wege gestanden. Morgensterns Herz schlägt mittlerweile wieder stärker denn je fürs Theater, wo ihm „die schöneren Rollen angeboten“ würden und er demnächst in der Musicalversion von „Manche mögen’s heiß“ zu sehen sein wird.
Bunt und laut sein
In Sachen LGBTIQ*-Akzeptanz habe es gerade in den 2020er Jahren wieder einen Backlash gegeben aufgrund des weltweiten Rechtsrucks, ergänzte Ralph Morgenstern. Auch Dada Stievermann sieht das so, die zu berichten wusste, dass es in den 1980er Jahren für ein Männerpaar problemlos möglich gewesen wäre, händchenhaltend über die Ringe in Köln zu laufen. Heute hingegen müssten sie dann fürchten, angepöbelt oder sogar angegriffen zu werden. Deswegen sei es nach wie vor wichtig, für Gleichberechtigung auf die Straße zu gehen. Moderator Christian Schäfer attestierte, dass die queeren Menschen seiner Generation viel zu viel als selbstverständlich annehmen würden, dass für sie der CSD lediglich ein Partywochenende sei. Morgenstern meint, dahinter ein Versäumnis seiner Generation zu erkennen: „Wir müssen wieder sehr viel tun, wir haben es der aktuellen Generation nicht gelehrt, für ihre Rechte einzutreten, weil wir gedacht haben, dass wir schon alles erreicht haben und alles gut ist.“ Das Engagement der jungen Leute heutzutage sei allgemein deutlich zurückgegangen, hat auch Stievermann festgestellt, die seit Jahren in der „Rosa Sitzung“ und nun in der „Röschensitzung“ aktiv ist. Sie weiß, dass es nicht viele junge Leute gibt, „die scharf darauf sind, queeren Karneval zu machen“. Seit 2009 lehrt sie am Schauspiel Zentrum Köln Improvisationsunterricht, und dort sagt sie ihren SchülerInnen auch immer wieder: „Bunt und laut müsst ihr sein, um etwas zu erreichen.“
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