Das Geschwisterduo CocoRosie hatte seine zerbrechlichen Popfragmente zuletzt mit viel Elektronik auf ein halbwegs stabiles Fundament gestellt. Auf dem sechsten Album „Heartache City“ geht es zurück in die eigene Vergangenheit, als sie noch als Weirdo Folk gelabelt wurden: Nur noch wenig Electronica trifft auf selbstgebastelte und zweckentfremdete Instrumente, die ein vielteiliges Klanggeflecht entstehen lassen. Der Gesang klingt auch wieder betont brüchig und kindlich. Und die Melodien, die sind nach wie vor der Zuckerguss oben drauf (Selbstverlag). Jono el Grande nennt seine wichtigsten Einflüsse Captain Beefheart und Frank Zappa. Nun, um es kurz zu machen: das glaubt man gerne und das ist auch auf „Melody of a Muddled Mason“, dem sechsten Album des Norwegers, nicht anders. Wobei als Vorbild für seine verspielten Arrangements Zappa ganz klar an erster Stelle steht und neuerdings auch dessen 70er-Jahre-Sound in seiner Musik auftaucht. Epigone? Egal, tolle und sehr abwechslungsreiche Platte (Rune Grammofon).
Als schwuler Transvestit mischt Mykki Blanco die Hip-Hop-Gemeinde auf. Sein Debütalbum erschien im Frühling, nun kommt mit „... presents C-ORE“ die erste Compilation seines Labels Dogfood Music. Die Tracks von Yves Tumor, Violence, PsychoEgyptian und Mykki Blanco stehen zwischen Hip Hop, Grime, Trap, Dubstep und Noise und dröhnen mit voller Wucht aus den Lautsprechern. Sie repräsentieren entgegen des Klischees von Soul, Funk, Rap und R 'n' B eine Black Music, die experimentell und krachig ist und in der Tradition von Dälek oder dem Anti Pop Consortium steht. Oneohtrix Point Never klingt auf „Garden of Delete“ wie das Ziehkind von Aphex Twin, Squarepusher und Otto von Schirach, das in der Großraumdisco Rave und Trap inhaliert hat. Es kann daher kaum verwundern, dass er mit seinem letzten Album bei Warp gelandet ist. Nur klingt Daniel Lopatins Musik noch auskragender als die seiner Kollegen. Mal minimalistisch, mal mit 70's- oder 80's-Touch, mal wie hyperventilierender Pop, mal noisig, mal romantisch und melodiös. Lopatins musikalische Welt scheint kaum Grenzen zu kennen. Und trotz aller Fragmentierung wirkt das im Ganzen stringent. Fantastisch (Warp).
Alexander Hacke hat mit „Krach – Verzerrte Erinnerungen“ seine Autobiografie geschrieben. Und die ist es in der Tat wert, aufgeschrieben zu werden: Mit 14 Jahren schmeißt er die Schule und macht in diversen Bands Musik, darunter den Einstürzenden Neubauten. Kurz darauf ist er mit Christiane F.(elscherinow) liiert, reist mit ihr durch die USA und macht zurück in Berlin noch viel mehr Musik – bis heute. Was aus Schulabbrechern so werden kann – spannend und sympathisch erzählt (Metrolit). Dieselbe Szene hat sich die großartige Dokufiction „B-Movie“ vorgenommen. Der Kinofilm durchstreifte die Subkultur des Berlins der 80er Jahre. Nach dem Kinoerfolg im Frühling hat man nun hastig zur DVD auch Buch und Doppel-CD/LP hinterher geschmissen. Mit dem „B-Book“ ist ein schickes Coffee-Table Buch entstanden, das eine extended Version des Filmtextes und viele zeitgenössische Fotos enthält. Die CD/LP „B Music“ enthält die Musik des Films, was auf Tonträger in seiner kunterbunten Form aber nicht so gut funktioniert wie im Film – daran ändern auch Mark Reeders Interludes nichts. Mit Westbam, Abwärts, Malaria, Ideal, Anne Clark, Joy Division etc. (Edel).
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Live und After-Life
Überirdische Reunionen und Rituale – Kompakt Disk 12/19
Zarte Geister und suizidaler Horror
Seelenzustände in Musikform – Kompakt Disk 10/18
Sentimentale Jugend
Ambiente Klangwelten, kantiger Pop und ergreifende Vielgestaltigkeit – Kompakt Disk 04/18
International Krautronics
Rückblick auf Science Fiction-Sounds der 70er Jahre – Kompakt Disk 03/18
Irgendwie alles psychedelisch
Bewusstseinserweiternder R‘n‘B, Hip-Hop, Afrobeat und Indie-Pop – Kompakt Disk 12/17
Vergangene Zukunft der Popmusik
Somnambule und sedierte Klanglandschaften – Kompakt Disk 11/17
Zwischen den Traditionen
Transkontinentale Musik mit Zeitsprüngen – Kompakt Disk 10/17
Vierte-Welt-Musik
Fantasien zwischen Kopiergerät, Werbung und der weiten Welt – Kompakt Disk 09/17
Quer durch den Klangdschungel
Auf Entdeckungsreise mit Avey Tare, F.S.K., Boris und anderen – Kompakt Disk 08/17
Musikalischer Pointillismus
Rhythmische Finesse vom Mittelalter bis in die Gegenwart – Kompakt Disk 07/17
Weltfusion
Musikalischer Kulturaustausch – Kompakt Disk 06/17
Rückbesinnung
Geschichtsbewusstsein und Erinnerungsarbeit – Kompakt Disk 05/17
Noise, Rap und Migration
Zwischen Bühne und Buchdeckel – Unterhaltungsmusik 11/24
Endlich Wochenende
13. Week-End Fest im Stadtgarten – Musik 10/24
Psychedelische Universen
Mother‘s Cake im Helios 37 – Musik 10/24
Aggressive Dringlichkeit
Internationale Acts von Rock über Hip Hop bis Avantgarde – Unterhaltungsmusik 10/24
Eine Party für die Traurigen
Romie in der Maulvoll Weinbar – Musik 09/24
Heftiger Herbstauftakt
Nach Open Air wieder volles Programm in Clubs und Hallen – Unterhaltungsmusik 09/24
Kein Bock auf Sitzkonzert
Mdou Moctar im Gebäude 9 – Musik 08/24
Sommerloch? Nicht ganz ...
Volle Packung Drum‘n‘Bass, Indie, Tuareg-Blues und Black Metal – Unterhaltungsmusik 08/24
Fette Beats im Wohngebiet
Green Juice Festival 2024 in Bonn – Musik 07/24
Vielfalt, Frieden und Respekt
3. Ausgabe von Shalom-Musik.Koeln – Musik 07/24
Die Ruhe im Chaos
Emma Ruth Rundle in Köln und Bochum – Musik 07/24
Helldunkler Sommer
Fröhlich und finster lockt die Festivalzeit – Unterhaltungsmusik 07/24
Und der Tag wird gut
Suzan Köcher‘s Suprafon beim Bonner Museumsmeilenfest – Musik 06/24