Montag, 13. September: Noch bis zum 19. September finden bundesweit derzeit zum zweiten Mal die LETsDOK-Dokumentarfilmtage statt, bei denen Dutzende neuer Dokumentarfilme an z.T. außergewöhnlichen Orten und mitunter von Filmgesprächen begleitet präsentiert werden. Den Auftakt in Köln machte am Montagabend im frisch wiedereröffneten Filmhaus in der Maybachstraße die opulente Dokumentation „Herr Bachmann und seine Klasse“, den die Filmemacherin Maria Speth kurz nach der gefeierten Erstaufführung in Marburg in Anwesenheit vieler der Protagonisten nun als NRW-Premiere vorstellte. Vera Schöpfer, die Geschäftsführerin des Kinos, und Prof. Michael Möller von der AG DOK, stellten die Regisseurin im Filmhaus vor und gaben noch einige kurze Ausblicke auf die bundesweite Initiative zum Dokumentarfilm, dessen ganze Filmkraft sich nun geballt im Monat September in den Kinos entfalten kann. „Herr Bachmann und seine Klasse“ ist ein ungewöhnlicher Vertreter seines Genres geworden, da er mit einer Laufzeit von 217 Minuten, also gut dreieinhalb Stunden, für eine Dokumentation ungewöhnlich lang geworden ist. Speth schildert darin auf minutiöse Weise den abwechslungsreichen Arbeitsalltag von Dieter Bachmann und seiner sechsten Klasse an der Georg-Büchner-Gesamtschule im hessischen Stadtallendorf.
Ein Raum zum Wohlfühlen
Im anschließenden, von Prof. Dr. Manuel Zahn von der Universität Köln moderierten Publikumsgespräch ging es zunächst auch um die Frage, wie Maria Speth auf ihre Protagonisten gekommen ist. Sie erläuterte, dass sie Dieter Bachmann privat schon seit Jahrzehnten kenne und dieser immer viel von der Stadt, seiner Schule und der dortigen Bevölkerungsstruktur erzählt habe. Die ist nämlich, auch aufgrund der Historie des Ortes, ziemlich ungewöhnlich. In Bachmanns Klasse finden sich Kinder von Einwanderern aus der Türkei, Bulgarien, Russland, Italien, Rumänien und Kasachstan. Viele von ihnen sprechen nur unzureichend Deutsch, was die Stoffvermittlung an der Schule erheblich erschwert. Dieter Bachmann hat jedoch einen spielerischen Zugang über Musik und gemeinsame Aktivitäten gefunden, um jedem Individuum in seiner Klasse gerecht zu werden und die einzelnen Lernerfolge zu steigern. „Dieser Mikrokosmos in der Klasse war mir wichtig, und ich wollte, dass jeder Schüler und jede Schülerin in meinem Film angemessen abgebildet wird“, sagte Maria Speth beim Publikumsgespräch in Köln. Ihrer Meinung nach spiegelte Bachmanns Klassenzimmer sein eigenes privates Wohnzimmer wieder, war eine Art Abbild desselben, das direkt ein familiäres Gefühl vermittelte und einen Raum zum Wohlfühlen schuf. Ein halbes Jahr begleitete Maria Speth im Jahr 2017 mit ihrem vierköpfigen Team den Schulalltag Bachmanns in seiner Klasse, die seine letzte vor seiner Pensionierung sein sollte. Neben dem sympathischen Lehrer waren es auch sämtliche Kinder der Klasse, die Speth „mit ihrer offenen und unmittelbaren Art und mit ihrer Wärme“ in ihren Bann gezogen hätten.
200 Stunden Filmmaterial verdichten
Um die jungen ProtagonistInnen ernst zu nehmen und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen, filmte Speths Team überwiegend auf Höhe der sitzenden Schüler und versuchte weitestgehend, auf Totalen zu verzichten. Am Ende der Dreharbeiten musste sich die Filmemacherin durch 200 Stunden gefilmtes Material wühlen. Der Montageprozess dauerte dann auch geschlagene drei Jahre, in denen es darum ging, das Material zu verdichten und in eine kinotaugliche Form zu bringen. Dabei war es Speth wichtig, „kleine Momente, unscheinbare Dinge nicht zu verlieren“, weswegen relativ schnell klar wurde, dass sie dem Material mit einem hundertminütigen Film nicht gerecht werden konnte. Das 20stündige Rohmaterial wurde schließlich auf acht Stunden reduziert und immer weiter zusammengekürzt. Dabei achtete Speth darauf, dass sowohl eine Struktur als auch ein Rhythmus vorhanden blieben. Die Unterrichtsszenen bildeten dabei von Anfang an das Zentrum des Films, das schließlich durch Szenen von Exkursionen erweitert und durch wortlose Bilder von Stadtallendorf ergänzt wurde, um dem Publikum auch einen Eindruck vom Lebenshintergrund und der Arbeitssituation der Eltern zu vermitteln. „Herr Bachmann und seine Klasse“ startet am Donnerstag, 16. September, dann auch bundesweit in den Kinos.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Queere Menschen in Polen
„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24
Die schwierige Situation in Venezuela
„Das Land der verlorenen Kinder“ im Filmhaus – Foyer 06/24
Ungewöhnliches Liebesdrama
„Alle die du bist“ im Odeon – Foyer 05/24
Mehr als „Malen-nach-Zahlen-Feminismus“
„Ellbogen“ im Filmpalast – Foyer 04/24
Gegen die Marginalisierung weiblicher Körper
„Notre Corps“ im Filmforum – Foyer 04/24
Rechtsextreme Terroranschläge
„Einzeltäter Teil 3: Hanau“ im Filmhaus – Foyer 02/24
„Monika musste sterben, weil sie nicht auf den Bus warten wollte“
Auf der Suche nach Gerechtigkeit beim dfi-Symposium – Foyer 01/24
„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“
Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
„Paradigmenwechsel im Mensch-Natur-Verhältnis“
Mirjam Leuze zum LaDOC-Werkstattgespräch mit Kamerafrau Magda Kowalcyk („Cow“) – Foyer 03/24