Es dauert beinah fünf Minuten, ehe das samtige Falsett Sander de Winnes, Sänger des deutsch-belgischen Jazztrios FAVO, allmählich in den Bariton herabsinkt und sein natürliches Timbre preisgibt. Zuvor säuselte der in Gent gelernte Vokalist, flüsterte und zischte gelegentlich. Wiederum davor zweiminütiges Zungenschnalzen. Seine Interpretationen von Keith Jarrett, Astor Piazolla und Bob McFerrin gewinnen durch dieses Höchstmaß an Variation, den Hang zum Spielerischen. Lediglich begleitet durch ein Sopransaxofon und eine Bassklarinette, entwickeln sie, bei anfangs zögerlicher klanglicher Entfaltung, rasch eine unerwartete Dynamik.
Volker Schlotts und Falk Breitkreuz‘ Spiel – beide lernten zeitgleich an der Hanns-Eisler-Musikhochschule im früheren Ostberlin – konstituiert sich hierbei vielmehr als Mono- denn als Dialog. Die Stimmen der Blasinstrumente harmonisieren sich, ergänzen einander virtuos, verschmelzen zu einem einzelnen, fantastischen Narrativ. Fantastisch, wie es die afrikanische Folklore ist, von der sich die Musiker auf ihren langen Stiftungsreisen nach Simbabwe, Burundi und Tansania haben inspirieren lassen. Ein Souvenir von dort, die Mbira, ein mit den Daumen gezupftes Lamellophon, ist zugleich Titel und Protagonist ihres vermutlich großartigsten Stück des Abends. Das Publikum, das sich am 6. Oktober dicht gedrängt auf den schmalen Tribünen des alten Pfandhauses eingefunden hat, applaudiert und erhebt sich beschwingt zur Pause.
Sechzehn Musiker, das Jazzorchester Loom, bestehend aus fünf Holz- und fünf Blechbläsern mitsamt Rhythmusgruppe, haben auf dem ovalen Parkett platzgenommen. Für Niels Klein, Saxophonist, Klarinettist und Kopf des Ensembles, ist die Besetzung des jazzkompositorischen Projektes merklich eine Herzensangelegenheit. Aufschauend zu der großen Concert Jazz Band Gerry Mulligans, die zu Beginn der sechziger Jahre die Avantgarde des orchestralen Cool Jazz bildete, komponierte Klein neun Stücke.
Ihr Arrangement ist hoch kontrapunktisch; Klein unterteilt sein Ensemble in Sektionen, die in einem mühelosen, wellengleichen Gestus mal dissonant aufeinandertreffen, mal harmonisch verebben. Wesentlich ist hierbei auch eine erweiterte Harmoniegruppe aus Harfe, Klavier, Vibraphon und Gitarre. Reihum erhebt sich dann, im wörtlichen Sinne, ein Solist aus dem schwankenden Gefüge und lässt die Übrigen verstummen. Der improvisierende Musiker erhält genug Zeit, auch dies eine Anlehnung an Mulligan, um dem Publikum vertraut zu werden. Es sind die gedämpften, beinah introvertierten Motive und Momente, Tendenzen der Kammermusik, die Klein immer wieder, ohne jegliche Effekthascherei und mit hoher kompositorischer Raffinesse, sucht und findet.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Alles rund um die Klarinette
Das neunte Multiphonics Festival – Festival 09/22
Andenken an eine wunderbare Musikerin
Martin Weinert Rainbow Trio kommt nach Köln – Musik 12/21
Außergewöhnliche Technik
Oded Tzurs Sax-Sound im Alten Pfandhaus – Improvisierte Musik in NRW 11/18
Multiphonics jubiliert
Im fünften Jahr regiert die Klarinette – Improvisierte Musik in NRW 09/18
Alles aus dem Horn
Drei Saxophone der WDR Big Band porträtieren sich selbst – Improvisierte Musik in NRW 12/17
Nicht nur Klarinetten
Das Multiphonics Festival stellt sich breit auf – Improvisierte Musik in NRW 10/17
Ein wildes Leben
Helge Timmerberg erzählt im Alten Pfandhaus – Literatur 04/17
Grooviger Jazz-Abend
Das Martin Sasse-Trio spielte mit Peter Bernstein im Alten Pfandhaus – Konzert 11/16
Wespen im Pfandhaus
WDR Big Band-Chef Bob Mintzer mit den Yellowjackets in Köln – Improvisierte Musik in NRW 10/16
Run auf die Saiten
Die „Cologne Guitar Night“ am Alten Pfandhaus – Improvisierte Musik in NRW 06/16
Von Psychedelic Pop bis Post Rock-Folk
Elektronische Free Jazzer, pseudo-schwule Rocker und eine ganze Menge Hippies – Unterhaltungsmusik 02/16
Glühwein und Stollen
Köln jazzt zur Weihnachtszeit – Improvisierte Musik in NRW 12/15
Helldunkler Sommer
Fröhlich und finster lockt die Festivalzeit – Unterhaltungsmusik 07/24
Und der Tag wird gut
Suzan Köcher‘s Suprafon beim Bonner Museumsmeilenfest – Musik 06/24
Wie im Moment entstanden
Waxahatchee im Gebäude 9 – Musik 06/24
Folklore-Crossover
Wundersame Mischungen im Konzert – Unterhaltungsmusik 06/24
Sehnsucht nach Nähe
Nichtseattle im Bumann & Sohn – Musik 05/24
Gesang mit Starqualität
Aka Kelzz im Yuca auf der Kölner c/o Pop – Musik 05/24
An der Front: Sängerinnen
Post Punk neu arrangiert und interpretiert – Unterhaltungsmusik 05/24
„Der Jazz wird politischer und diverser“
Jurymitglied Sophie Emilie Beha über den Deutschen Jazzpreis 2024 – Interview 04/24
Überbordende Energie
Dead Poet Society live im Luxor – Musik 04/24
In alter Blüte
Internationales Line-up beim Kunst!Rasen Bonn 2024 – Festival 04/24
Kleinteilige Tonalität
Das Festival „Acht Brücken“ erforscht die Zwischentöne – Festival 04/24
Einfach mal anders
Das stARTfestival der Bayer AG in Leverkusen geht eigene Wege – Festival 04/24
Geschichtsträchtige Konzerte
Wandelbare Ikonen und perfekte Coverbands – Unterhaltungsmusik 04/24