Wolfzeit
Frankreich/ Deutschland/ Österreich 2003, Laufzeit: 113 Min., FSK 12
Regie: Michael Haneke
Darsteller: Isabelle Huppert, Maurice Benichou, Lucas Biscombe, Patrice Chéreau, Béatrice Dalle, Anaïs Demoustier, Daniel Duval, Marilyn Even, Olivier Gourmet, Rona Hartner, Florence Loiret Caille, Brigitte Rouan, Branko Samarovski, Hakim Taleb, Thierry van Werveke, Michaël Abiteboul, Pierre Berriau, Costel Cascaval
Wenn Finsternis zwischen den Menschen ausbricht...
SeBiG (30), 08.03.2010
Ohne irgendetwas zu erklären, stürzt Michael Haneke den Zuschauer in ein Endzeit-Szenario, in dem die Bande der Zivilisation zerrissen sind und der Mensch des Menschen Feind ist.
Die Bedrohung wird nicht namentlich genannt, dafür das Brennglas nur um so zielgerichteter auf die Protagonisten in einer Welt gerückt, in der sich jeder der Nächste ist, weil alles, was das zivilisierte Mensch einfach so als garantiert erachtet (die Grundversorgung mit Wohnung, Nahrung, Essen, Medikamenten), auf einmal nicht mehr gewährleistet ist.
Dabei hält sich Haneke, wie gesagt, nicht lange mit Erklärungsansätzen auf, sondern konzentriert sich auf die Charakterstudien der im Vordergrund agierenden Persönlichkeiten.
Ähnlich wie Bergmann in seinem "Siebten Siegel" charakterisiert, wie verschiedene Menschentypen mit der Unausweichlichkeit des eigenen Todes umgehen, sehen wir hier Akteure in unterschiedlichen Stadien des Verfalls von Menschenwürde, Gemeinschafts- und Mitgefühl, deren verschiedene Ansätze, die Katastrophe zu meistern, nichts anders wiederspiegeln als unterschiedlich "menschliche" Strategien, um das eigene Überleben zu sichern.
Ein durchweg düsteres Szenario, das an vorzivilisierte Zeiten erinnert - aber auch durchaus eine Lust für alle, die die Kälte und Wertelosigkeit unserer Zeit gering schätzen und dieser Form des Menschlichen Zusammenlebens die notwendige "Erschütterung" (wenn nicht gar den Zusammenbruch) wünschen.
Denn der besondere Reiz von Hanekes Inszenierung liegt natürlich darin, dass es nicht Steinzeitmenschen sind, die derlei Überlebenskampf gewohnt sind, sondern Menschen unserer Zeit, die sich auf einmal in eine entsprechende Zivilisationsstufe zurückversetzt sehen - und damit natürlich phsysisch wie psychisch durchweg überfordert sind.
Zur Kritik an dem Film lässt sich sagen, dass sich sicherlich eine größere Wirkung hätte erzielen lassen, wenn man mit einer größeren Dynamik, also Drastik, inszeniert hätte. Doch Haneke schwelgt geradezu darin, den Schwerpunkt auf die Hilflosigkeit und Verzweiflung seiner Figuren zu legen, die ob der Ausweglosigkeit der Situation und ihres eigenen Handels bisweilen wie gelähmt wirken.
Diese Lähmung überträgt sich somit gekonnt auf den Zauschauer - fesselt diesen mit bleiernen Ketten der Schwermut. Auch der Schwermut einer Erkenntnis, das es so wenig bedarf, um die Grundlagen unserer menschlichen Zivilisation restlos hinwegzufegen.
Das Beste, was sich über so einen Film sagen lässt, ist, wie gut es nach dessen Genuss tut, sich in das eigene warme Bett fallen zu lassen und sich in der Gewissheit zu suhlen, dass es einem HEUTE NACHT wenigstens sicher sein mag, dass MORGEN FRÜH wohl noch der Kaffee auf dem Tisch stehen wird... Und somit soetwas was eine gewisse Dankbarbeit für "Alltägliches" zu verspüren.
Und das ist ein Wert, der selten geworden ist den Zeiten unseres "immer mehr, immer mehr".
Für Cineasten, die sich an Endzeit-Szenarien wie Saramagos "Stadt der Blinden" erfreuen können, durchaus zu empfehlen. Wer sich im Kino lieber "unterhalten" lassen möchte, sollte von dem Film lieber die Finger weglassen.
Wolfzeit ...
BillyBremner (2), 14.01.2004
Wolfzeit
Gewöhnen sie sich an die Dunkelheit !!!
Wer Michael Haneke kennt und seine Arbeiten gesehen hat, könnte nach der ersten Filmszene denken, er sitzt in einer Fortsetzung von Funny Games.
Aber der Zuschauer wird sich täuschen.
Man versteht nicht die Zusammenhänge, wartet auf Antworten die man nicht bekommt, man sieht nur eines: Dunkelheit. Es ist schwierig diesen Film zu begreifen.
Nicht wenige werden das Kino verlassen.
Je länger dieser Film "wirkt" desto schwieriger wird er, man wartet auf Dinge die nicht passieren.
Fazit:
Was Michael Haneke hier umgesetzt hat, ist einfach grandios. Es hängt sehr viel davon ab, in welcher psychischen Verfassung der Betrachter sich befindet. Je depressiver man ist, umso mehr wirkt dieser Film. Die Lichtverhältnisse sind so ungemein intensiv, weil der Regiesseur auf jegliche unnatürliche Lichtquellen verzichtete, das zeichnet diesen Film aus & macht ihn zu einem Meisterwerk.
Für jeden Programm Kino Fan ein muss, für viele andere ein Film, den sie sich nicht bis zum Schluss ansehen werden.
Ein Film der erst nach einigen Tagen wirkt ...
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“
Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Schnitte in Raum und Zeit
Die 24. Ausgabe des Festivals Edimotion in Köln ehrt Gabriele Voss – Festival 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
Die hemmungslose Leinwand
Sexualität im Kino – Vorspann 10/24
„Zuhause sehnen wir uns nach der Ferne...“
Kuratorin Joanna Peprah übers Afrika Film Fest Köln – Festival 09/24
Afrikanisches Vermächtnis
Das 21. Afrika Film Festival widmet sich dem Filmschaffen des Kontinents – Festival 09/24
Kurzfilmprogramm in der Nachbarschaft
„Kurzfilm im Veedel“ zeigt Filme zu aktuellen Themen in Köln – Festival 09/24
Sorge um die Filmkultur
Veränderungen und Einsparungen stehen vor der Tür – Vorspann 09/24
Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24
Volles Programm(heft)
40-jähriges Jubiläum der Internationalen Stummfilmtage Bonn – Festival 08/24
Sommer-Endspurt
Humor und Weltrettung für Jung und Alt – Vorspann 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Queere Menschen in Polen
„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24
Pssst!
Zu Spoilern, Prequels und Remakes – Vorspann 07/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24
Ein Fest des Kinos
Die Kölner Kino Nächte präsentieren an 4 Tagen knapp 50 Filme – Festival 07/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
Die schwierige Situation in Venezuela
„Das Land der verlorenen Kinder“ im Filmhaus – Foyer 06/24
Sternenkriege und Weißer Terror
Volles Sommerkinoprogramm – Vorspann 06/24