
Poll
D/A/EST 2010, Laufzeit: 139 Min., FSK 12
Regie: Chris Kraus
Darsteller: Paula Beer, Edgar Selge, Tambet Tuisk, Richy Müller, Jeannette Hain, Enno Trebs, Erwin Steinhauer, Gudrun Ritter
Aufwändig inszeniertes Familien- und Historiendrama
Internationaler Look
"Poll" von Chris Kraus
Chris Kraus, der schon mit „Vier Minuten“ einen der bildgewaltigsten deutschen Filme der letzten Jahre schuf, lässt auch hier wieder das Auge staunen. An der südestnischen Ostseeküste hat er seine Szenenbildnerin Silke Buhr ein Herrenhaus im Stile des Palladianismus auf Pfählen ins Meer stellen lassen, dass sich mit jedem aufwändigen Hollywood-Set messen kann. „Poll“ heißt dieses Landgut der deutsch-baltischen Aristokratenfamilie von Siering, in das die 14jährige Oda (Paula Beer) nach dem Tod ihrer Mutter zurückkehrt. Vater Ebbo (Edgar Selge), der wegen umstrittener Methoden seinen Lehrstuhl verloren hat, widmet sich fanatisch seinen Hirn-Studien, die er an getöteten estnischen Anarchisten durchführt. Mit Odas Tante Milla (Jeanette Hain) unterhält er ein Verhältnis, die wiederum mit dem Gutsverwalter Mechmershausen (Ricky Müller) eine Affäre hat. In diese morbide, sich dem Untergang nähernde Gesellschaft bricht mit einem verwundeten estnischen Anarchisten und Schriftsteller, genannt Schnaps, der Vorbote einer neuen Ordnung. Oda versteckt und pflegt ihn, entdeckt durch ihn ihre Liebe zur Literatur und erwacht zur Frau ...
„Poll“ beruht lose auf den Memoiren von Chris Kraus‘ Großtante Oda Schaefer (1900-1988), einer weitgehend vergessenen Lyrikerin. Ihre in der Autobiographie nur angedeutete Romanze macht Kraus zum Herz des Films und fand – wie schon mit Hannah Herzsprung bei „Vier Minuten“ – auch hier mit der Debütantin Paula Beer eine junge Darstellerin, deren Talent zu großen Hoffnungen Anlass gibt. Beeindruckend, wie sie an der Seite des bekannten estnischen Schauspielers Tambet Tuisk als Schnaps besteht, der ihr uneigennützig den Raum zur Entfaltung gibt. Aber auch Edgar Selge beeindruckt in seiner Rolle als dämonischer Mediziner, der die Menschen-Experimente der Nazi-Ärzte vorwegnimmt.
Leider vergisst Kraus über all der optischen Opulenz ein wenig die dramaturgische Verdichtung der Geschichte, was sich besonders in der allzu flachen Charakterisierung der Nebenfiguren niederschlägt. Sowohl die reizende Jeannette Hain wie auch der prägnante Ricky Müller, deren charismatische Ausstrahlung sich der deutsche Film viel zu selten zu Nutze macht, wirken bisweilen unterbeschäftigt. Das kann man von Kamerafrau Daniela Knapp nicht behaupten, die hier ein großartig kadriertes und ausgeleuchtetes Tableau ans andere reiht, das dem Film jenen internationalen Kino-Look verleiht, den hiesige Produktionen so oft vermissen lassen. Dagegen orientiert sich Annette Focks mit ihrem pompösen Soundtrack allzu verkrampft an Blockbuster-Vorbildern, wo auch leisere Töne die Atmosphäre getroffen hätten. Chris Kraus macht es ihr vor, wenn er Schuberts Forellenquintett einer Parallel-Montage von Ebbos Klavierspiel mit der schmerzhaften Behandlung von Schnaps' Wunden unterlegt.

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