Miffo
Schweden 2003, Laufzeit: 94 Min.
Regie: Daniel Lind Lagerlöf
Darsteller: Isa Aouifia, Kajsa Ernst, Ingvar Hirdwall, Jonas Karlsson, Robin Keller, Livia Millhagen, Liv Mjönes, Fyr Thorvald Strömberg
Tobias übernimmt in einer von Sozialempfängern geprägten Vorortsiedlung seine erste Pfarrei und verliebt sich in die lebenslustige, an den Rollstuhl gefesselte Carola. Da sie aber nicht konsequent zu ihren Gefühlen stehen, landen sie vor dem Happyend erst einmal mit eigentlich ungeliebten Partnern vor dem Traualtar. Unsentimentale Love-Story voller Überraschungen Seit die Dogma-Bewegung das skandinavische Kino "runderneuert" hat, haben Behinderte Hochkonjunktur im nordischen Film. Glücklicherweise aber nie als Witz- oder Klischeefiguren, sondern als gleichberechtigte Partner "normaler" Menschen. Oder als Träger berührender Geschichten, die ihre kleinen und großen Defizite ernst nehmen und sie der Gesellschaft als Spiegel vorhalten. Ob in provokanter Form wie Lars von Triers "Idioten" oder auf humorvolle Weise wie in Peter Naess´ "Elling". Daniel Lind-Lagerlöf greift nun ein Tabu auf, an das sich das Mainstream-Kino nur selten, und wenn, dann in abgemilderter Form heranwagt: Sex mit Behinderten. Wenn das körperliche Gebrechen wie bei Blinden und Gehörlosen optisch nicht allzu störend ins Gewicht fällt, durfte sich schon mal ein "Gesunder" in sie verlieben. Aber wenn die Behinderung, wie bei Querschnittsgelähmten oder Spastikern, das Hinsehen erschwert, dann gehört schon eine Portion (Produzenten-)Mut und eine einfühlsame Regie dazu, das Publikum mit solch einer ungewöhnlichen Love-Story zu konfrontieren. Zuletzt gelang das Paul Greegrass' "Vom Fliegen und anderen Träumen" mit der großartigen Helena Bonham-Carter in der Hauptrolle. Und auch Daniel Lind-Lagerlöfs "Miffo" bezieht einen Großteil seiner emotionalen Kraft aus dem wahrhaftigen Spiel seiner Hauptdarstellerin Livia Millhagen, die als querschnittsgelähmte Carola offensiv mit ihrer Behinderung umgeht und durch ihre Lebensfreude den in seinem Idealismus gefangenen Jungpfarrer Tobias (glaubwürdig zerrissen: Jonas Karlsson) ansteckt. Ihre erste gemeinsame Nacht gehört zu den schönsten Liebeszenen des gegenwärtigen Kinos, weil sie in ihrer optischen Zurückhaltung die Zärtlichkeit im Kopf des Zuschauers weiterspinnt und auch beiläufig jene Frage beantwortet , die hier Tobias Freund stellvertretend für das Publikum stellt: "Kann man mit Querschnittsgelähmten befriedigenden Sex haben?". Mit derselben Beiläufigkeit beschäftigt sich der Film mit dem Tod und gesellschaftlichen Randgruppen, ohne in Larmoyanz oder Sozialkitsch zu verfallen. In klaren, graphisch schön aufgebauten und aus ungewöhnlichen Perspektiven aufgenommenen Bildern erzählt der Film mit Humor und unaufdringlichem Herz-Schmerz von dieser ungewöhnlichen Liebe.
(Rolf-Ruediger Hamacher)
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