Julieta
Spanien 2016, Laufzeit: 99 Min., FSK 6
Regie: Pedro Almodóvar
Darsteller: Emma Suárez, Adriana Ugarte, Daniel Grao
>> www.julieta-derfilm.de
Schicksalsdrama
Ich packe meine Koffer
„Julieta“ von Pedro Almodóvar
Zeit für einen Abschied. Zeit, loszulassen. Zeit für den nächsten Umzug. Julieta (Emma Suárez) will gemeinsam mit ihrem Partner Madrid verlassen. Die Koffer sind gepackt, dem Neuanfang in Portugal steht nichts mehr im Wege. Dann aber begegnet ihr auf der Straße Beatriz, die Jugendfreundin ihrer Tochter Antía. Diese erzählt ihr, sie hätte Antía kürzlich am Comer See gesehen. Es ist das erste Lebenszeichen ihrer Tochter seit zwölf Jahren, Antía war damals wortlos verschwunden. Julieta bricht ihr Umzugsvorhaben ab und beschließt, in Madrid zu bleiben. In der Hoffnung auf Antworten. In der Hoffnung, vielleicht von Antía aufgesucht zu werden. Sie setzt ihren Partner vor die Tür, nistet sich ein und beginnt, für ihre Tochter ein Tagebuch zu schreiben, in der sie ihr erzählen möchte, was sie ihr nie erzählt hat. Die Erinnerungen bilden die Geschichte dieses Dramas.
Nach seiner völlig überdrehten Farce „Fliegende Liebende“, ein Ausfallschritt, mit dem er an sein Frühwerk anschloss, widmet sich Pedro Almodóvar („Alles über meine Mutter“, „Volver“) wieder dem bewährten Melodram. Erneut interessiert er sich dabei für tragische Frauenschicksale, wieder erzählt er episch getragen und unterlegt sein Opus mit satter, saftiger Musik von Alberto Iglesias, der sich anmutig zwischen Angelo Badalamenti und Bernard Herrmann bewegt. Erfrischend ist, dass sich Almodóvar vergleichsweise geerdet durch die Erinnerungen Julietas bewegt, die Bildgestaltung verzichtet diesmal auf Pomp und Hochglanz. Zudem fällt sein Drama mit hundert Minuten knackig aus. Trotzdem bewahrt sich Almodóvar seinen bedächtigen, erhabenen melodramatischen Grundton. Das Drama erzählt sich verschachtelt und ist durchsetzt von mancherlei Zeitsprüngen. Einige Randfiguren, von der unwirschen Haushälterin bis hin zu Julietas Vater, überzeugen mit markanter Präsenz, jedoch nicht immer mit Relevanz. Trotz des inszenatorischen Sogs und vieler Metaphern bleiben Julietas schicksalhafte Vergangenheit und die Beziehung zu ihrer Tochter lange Zeit kryptisch und ohne Fokus, erst spät eröffnen sich die Motive, die ihr Antía entrissen haben.
Almodóvars Drama bildet eine Suche, eine Reise durch die Vergangenheit, die beständig begleitet wird von der Frage nach Schuld und dem wiederkehrenden Neuanfang. Julietas Leben ist geprägt von Verlust und Schuldgefühl, von Verdrängung und Hoffnung, vom Festhalten und Neuanfang. Und von der Konsequenz des Schweigens. Orte spielen eine große Rolle, und mit ihnen die Ortswechsel. Mutter und Tochter brechen hier gleichermaßen die Zelte ab. Um Erinnerungen und Unausgesprochenes hinter sich zu lassen. Um zu fliehen.
Bei aller Tragik: Almodóvar gibt sich auch hoffnungsvoll, und die Leidenschaft, mit der er erzählt, ist nicht begrenzt auf Tragik. Dem Schmerz geht großes Glück voraus. Zärtlich folgt der Film der jungen Julieta, als sie auf ihre große Liebe stößt, erzählt mit Lebenslust von der Liebe der kleinen Antía zu ihrem Vater, einem einfachen Fischer. Auch sein neues Werk entführt in einen sinnlichen Gefühlsstrudel.
ICS Cannes Award 2016, Pedro Almodóvar
(Hartmut Ernst)
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