Donnerstag, 27. Oktober: Nach acht vollgepackten Festivaltagen, an denen das Film Festival Cologne interessante neue Kino- und Fernsehproduktionen teilweise als Deutschlandpremieren aufführte, stand der letzte Festivaltag wieder ganz im Zeichen der diesjährigen Preisträger, die am Abend im E-Werk ausgezeichnet wurden. Die bereits im Vorfeld des Festivals bekanntgegebenen Ehrenpreisträger, die in diesem Jahr mit dem Hollywood Reporter Award, dem International Actors Award und dem Filmpreis Köln ausgezeichnet wurden, beantworteten am Nachmittag mit ansteckend guter Laune und zur Freude des Publikums die Fragen der drei Moderator:innen und der Besucher:innen im Filmpalast bei den mittlerweile schon traditionellen Artist Talks. Der Hollywood Reporter Award wurde der französischen Filmemacherin Mia Hansen-Løve zugesprochen, deren neuester Film „An einem schönen Morgen“ am Abend zuvor auf dem Festival gezeigt wurde (bundesweiter Kinostart ist am 8.12.2022). Sie plauderte zunächst von Kindheitserinnerungen und wie es war, als Tochter zweier Philosophieprofessoren aufzuwachsen. „Ich war mir der Komplexität des Intellekts meiner Eltern schon sehr früh bewusst, denn sie haben sich bei ihren Unterhaltungen beim Essen uns Kindern nicht angepasst“, so die Regisseurin. Über ein Casting, bei dem sie als Mitglied des Schultheaters teilgenommen hatte, kam sie erstmals mit der Welt des Films in Kontakt. Kino ist für Hansen-Løve heute nicht nur ein Job oder eine Betätigung, sondern ihr Lebensinhalt. Vielleicht auch deswegen sind ihre Filme und insbesondere deren Hauptfiguren von ihr selbst und von Menschen beeinflusst, die sie persönlich kennt. „Biografische Filme“ würde sie diese nennen, weil sie gleichwohl nicht alle autobiografisch seien. Darüber hinaus verbirgt sich dahinter der Versuch der Filmemacherin, auf diese Weise den Gedächtnisverlust und das Vergehen der Zeit zu bekämpfen. „Für mich ist Film ein Werkzeug des Wiedererschaffens von Menschen und Begebenheiten, eine Art filmisches Tagebuch“, erläuterte Mia Hansen-Løve.
Deutsche Ausnahmeschauspielerin
In Deutschland ist man sich des Ausnahmetalents und der beeindruckenden Karriere von Nina Hoss („Barbara“) in Theater, Film und Fernsehen schon seit vielen Jahren bewusst. Nun wirkt die Schauspielerin zunehmend auch in internationalen Produktionen mit, weswegen die Auszeichnung mit dem International Actors Award mehr als gerechtfertigt erscheint. Im unbefangenen Gespräch mit Julian Pörksen plauderte die sympathische Mimin über ihre bisherigen Arbeiten und ihre Karriereentscheidungen, gab auch einigen der im Publikum anwesenden angehenden Schauspieler:innen praktische Tipps für deren weiteren Weg. Ihre bisherige Rollenwahl führte sie in erster Linie auf einen guten Instinkt zurück, schließlich sei es immer eine sehr intensive und vergleichsweise lange Lebenszeit, die sie mit einem Film verbringe. „Dabei will ich etwas lernen, etwas entdecken und etwas erleben mit Menschen, die mich interessieren“, ergänzte Nina Hoss ihre Auswahlkriterien für das passende Drehbuch. Auch wiederholen möchte sie sich nicht, sondern sich lieber für Rollen entscheiden, die sie herausfordern und überraschen. Dass sie mittlerweile auch bei zahlreichen internationalen Drehs auf dem Radar der Castingagenten erscheint, führt sie auf ihr Mitwirken im Film „A Most Wanted Man“ zurück, in der sie eine kleine, aber lohnende Rolle an der Seite des kurz danach verstorbenen Ausnahmeschauspielers Philip Seymour Hoffman übernommen hatte. Das Arbeiten an deutschen oder internationalen Produktionen sei gar nicht so verschieden, lediglich der Aufwand variiere, weswegen man bei internationalen Produktionen schnell erkennen würde, dass mehr Geld dahinterstecke. Dass sie gerade für „Tár“ mit Cate Blanchett vor der Kamera gestanden hat, habe sie als „sehr aufregend, aber auch wahnsinnig inspirierend“ empfunden.
Filme für Filmliebhaber
Der Hauptpreis des diesjährigen Film Festival Cologne ging mit dem Filmpreis Köln an den französischen Regisseur Michel Hazanavicius, der 2012 für seinen schwarz-weißen Stummfilm „The Artist“ den Oscar als bester Regisseur in Empfang nehmen durfte. Beim Gespräch mit der Filmdozentin Lisa Gotto merkte er an, dass die eigentlichen Dreharbeiten zum Film gar nicht sonderlich schwierig gewesen seien, da es eigentlich in jedem Film stumme oder überwiegend visuelle Szenen gäbe. Wesentlich schwerer sei das Schreiben eines Drehbuchs ohne Dialoge gewesen. „Deswegen war der Autor in mir eifersüchtig auf den Regisseur in mir, als dieser den Oscar gewonnen hat“, scherzte Hazanavicius im Filmpalast. Seine Filme passen in keine Schubladen, sind stets angesiedelt zwischen Arthouse und Mainstream, wie auch „Final Cut“, der auf dem Festival seine Deutschlandpremiere feierte und im Januar 2023 regulär in den Kinos anlaufen wird. „Ich mache Filme für Menschen, die gerne ins Kino gehen. Es ist nicht mein Ziel, Leute auf der Straße einzufangen und erst zu einem Kinobesuch zu animieren“, so der Filmemacher weiter. Der beste Ratschlag, den er künftigen Filmemacher:innen geben könne, sei: „Habt Glück!“ Wenn das Glück dann tatsächlich vorbeikommt, müsse man es aber auch ergreifen. Michel Hazanavicius und den anderen Preisträger:innen des Film Festival Cologne ist das auf jeden Fall gelungen.
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