Wie politisch darf Oper sein? Das ist die Frage, die einem unweigerlich durch den Kopf geht, wenn man nach der aktuellen Inszenierung des „Fidelio“ das Bonner Opernhaus verlässt. Beethovens einzige Oper ist hier aktuell wie nie: Der tapfere Florestan (Thomas Mohr) wird in Beethovens Werk als politischer Gefangener in Isolationshaft ohne Tageslicht oder jedweden Kontakt zur Außenwelt gehalten. Das Leiden verstärkt sich durch die Essensrationen, die jeden Tag weniger werden. Die Gründe für seine Gefängnisstrafe sagt Don Pizarro (Mark Morouse), der Florestan einsperren ließ, ganz offen: „Er weiß zu viel über mich.“
Die Frau von Florestan, Hauptdarstellerin Leonore (gesungen von Martina Welschenbach) kann und will sich nicht mit dem Schicksal ihres Gatten abfinden: Sie schlüpft in die Verkleidung des jungen Fidelio, der bei Kerkermeister Rocco (Karl-Heinz Lehner) in die Lehre geht. So hofft sie auf die Möglichkeit, sich allmählich bis in das dunkle Gefängnis des politischen Häftlings vorarbeiten und ihren Gatten befreien zu können, denn eine Chance auf Gerechtigkeit sieht sie nicht mehr. Die Handlung spitzt sich zu, als Pizarro selber unter Druck gerät und von Rocco die sofortige Tötung Florestans verlangt. Inzwischen ist dessen Vertrauen zu Fidelio so gewachsen, dass dieser ihm beim Ausheben des Grabes helfen soll.

Mit der Inszenierung von Beethovens Befreiungsoper direkt zu Beginn des Jubiläumsjahres wurde in Bonn Volker Lösch betraut, der bekannt dafür ist, Opernstoffe politisch aktuell auf die Bühne zu bringen. Dieser Aktualitäts-Bezug wird in Bonn nicht nur angedeutet, sondern hier kommt das Publikum um den Bezug zur politischen Willkür in der Türkei nicht herum: Das musikalische Werk wird immer wieder unterbrochen durch eine Art Round Table, um den sich die Zeitzeugen Akay, Doğan Akhanli, Süleyman Demirtaş, Agît Keser und Dîlan Yazicioğlu versammeln, die alle ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit der türkischen Willkür gemacht haben und eindringlich von diesen berichten. Für das Publikum ist damit jede Form der Distanzierung hinfällig, denn den drastischen Schilderungen kann man sich nicht entziehen und längst sitzt man nicht mehr „nur“ in einer Oper.

So gelungen der Aktualitätsbezug auch sein mag, ein Kritikpunkt ist jedoch das Ungleichgewicht zwischen Wort- und Musikanteil, das zeitweise den Eindruck vermittelt, in einer von Musik umrahmten politischen Podiumsdiskussion zu sitzen. Auch die Umsetzung der musikalischen Teile ist eher Geschmackssache: Mit Hilfe einer Greenbox und Live-Kameras auf der Bühne erspart man sich bei dieser Inszenierung jegliches Bühnenbild. Stattdessen schaut man als Opernpublikum die meiste Zeit gebannt auf eine Leinwand und nicht auf die Bühne. Während die politische Thematik sehr direkt dargestellt wird, wird auf der anderen Seite zur musikalischen Handlung eine betont distanzierte Verbindung hergestellt. Dies führt jedoch dazu, dass die eigentliche Handlung des „Fidelio“ noch einmal mehr auseinandergerissen wird und phasenweise zusammenhanglos wirkt. An der Qualität der Musiker ändert dies nichts: Nicht nur die Solisten brillieren gesanglich, auch der Chor des Theaters Bonn überzeugt und auch das Beethoven Orchester Bonn unter der Leitung des Generalmusikdirektors Dirk Kaftan, das mittels Hebebühne zu Beginn und am Ende aus dem Orchestergraben gehoben wird, sorgt bis auf wenige Ausnahmen in den Bläsern für Begeisterung beim Publikum.
Der Abend endet mit dem klangvollen Abschlusschor, bei dem das Publikum über Leinwand und Plakate sehr offen und direkt aufgefordert wird, selber aktiv zu werden angesichts der zu Unrecht Inhaftierten in der Türkei. Ein Appell, dem man sich kaum entziehen kann und der weit über eine reine Versetzung eines Opernstoffs in die heutige Zeit hinausgeht. Eine ungewöhnliche und zweifelsohne gewöhnungsbedürftige Inszenierung von Beethovens „Fidelio“, die es in Bonn zurzeit zu sehen gibt. Schlüssig ist sie durchaus, hinterlässt den Besucher jedoch auch etwas ratlos und mit der Frage: Was habe ich da gerade gesehen?
„Fidelio“ | R: Volker Lösch | Fr 27.3. 19.30 Uhr | Theater Bonn: Opernhaus | 0228 77 80 08
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