Sie sind sehr alte Freunde, vertrauen sich blind und treffen sich so oft sie können: Der alte Mann und der Alkohol. Sir John Falstaff säuft wie ein Loch, ist also Voll-Alkoholiker. Selbstverständlich versagt sich Bruno Cathomas im kackschleimfarbenen Strampelanzug jede Form von Sucht oder Delirium. Es geht um idealisiertes Spaßsaufen – was zu einer Stadt, die Trinken als Brauchtum begreift, passt. Falstaff empfängt in seiner Stammkneipe, die aussieht wie ein weihnachtlich abgeranzter Karnevalssaal. Unter Goldlametta steht Bierbank an Bierbank, vorne ´ne Schwemme, hinten ´ne Schwemme, links die Kapelle, rechts ein Rednerpult (Bühne: Moritz Müller). Die Kneipenatmo auf der Bühne des Depot 1 bleibt während der Generalprobe noch ein wenig steril, auch wenn es Freibier (und Brezeln) fürs Volk gibt. Neben Cathomas als dröhnendem, lügendem, schamlosen Falstaff bleiben Justus Maiers Pistol und Peter Knaacks Wirtin Quickly etwas blass. Dafür gewinnt Katharina Schmalenbergs Prinz Hal scharfe Kontur als dürrer, wortmächtiger, ironischer Kronprinz, der zwar mit Falstaff säuft, ihn aber bei einem fingierten Raubzug gnadenlos reinlegt und bloßstellt.

Regisseur Jan Bosse und Dramaturgin Gabriella Bußackers halten sich bei ihrer Neufassung und -übersetzung des Shakespearschen zweiteiligen „Henry IV.“ an die übliche Dramaturgie: Falstaff säuft mit seinen Kumpels und mit dem Kronprinzen Hal. Als die Macht von Henry IV., dem Vater Hals, durch Rebellen bedroht wird, übernimmt der Sohn Verantwortung und zieht in den Krieg. Nach dem Sieg stirbt Hals Vater und der Prinz wird zum neuen König Henry V., der Falstaff verbannt. Wie in Shakespeares Königsdramen sind die Bösewichte die eigentlich interessanten Figuren: Yuri Englert als strategisch denkender Worcester, Justus Maier als wild draufgängerischer Percy Hotspur und Stefko Hanushevsky als sein bärbeißiger Vater. Letztere in bodenlangen wilden Zottelfellen. Dass das Trio sich Chancen auf das Königtum ausrechnet, ist nachvollziehbar angesichts des schwächlichen Henry IV. (Jörg Ratjen) und seinem beflissenen Ratgeber Westmoreland (Kristin Steffen). Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation wirkt die Entscheidung, einen Bürgerkrieg in der Kneipe zu inszenieren, allerdings etwas irritierend. Einerseits verkümmert die Rebellion so zum Mummenschanz, andererseits fehlt der Spelunke das Wilde des Deliriums.
Anschließend allerdings kehren sich die Verhältnisse wieder um, die alte Ordnung ist wiederhergestellt: Das Publikum sitzt im Zuschauerraum, auf der Bühne herrscht bei Falstaffs Kumpels Katerstimmung – trotz des Sieges von Prinz Hal, der schon mal die Krone seines noch nicht ganz toten Vaters ausprobiert. Das Programmheft feiert Falstaff als „das Andere“ und auch die Inszenierung malt ihn zum himmelblauen Überlebenskünstler um. Ob jemand diesen verkitschten Schwerst-Alkoholiker, dem Usurpatoren egal sind, solang der Fusel fließt, als Rolemodel begreift, oder doch eher Prinz Hal, der letztlich die Macht und damit die Verantwortung übernimmt – das muss am Ende des Abends jeder für sich selbst entscheiden.
Falstaff | R: Jan Bosse | 30.6., 1.7. | Schauspiel Köln | 0221 22 12 84 00
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