Der türkische Künstler Yüksel Arslan (geboren 1933) hat 2011 noch einmal das Genre gewechselt. „Journal“ nennt er die neue Serie von Arbeiten, in denen er Zeichnungen und Texte verbindet, die sich mit seinem Leben, mit Literatur und neuesten Errungenschaften der Wissenschaft beschäftigt. Auf „Arture 700“ sieht man nicht nur einen gemalten Orientalen mit ausgefahrenem Geschlechtsteil, auch eine kleine Zeichnung mit einer Figur, die dieses als Keule benutzt. Der Graf des Phallus macht seinem Namen auch mit 79 noch immer noch alle Ehre. Die Kunsthalle Düsseldorf präsentiert derzeit eine Retrospektive mit fast 200 Papierarbeiten des türkischen Künstlers, der immer noch als Außenseiter des etablierten Kunstbetriebes gilt, der nie Maler sein wollte, obwohl er einer ist, der nie Malerei als Machart verstand, sondern lediglich als Transportmittel seiner Kunst, deren Arbeiten er seit einem halben Jahrhundert „Arture“ nennt, abgeleitet von den französischen Wörtern „art“ („Kunst“) und „peinture“ („Malerei“). Yüksel Arslan lebt und arbeitet in Paris, wohin er 1962 nach dem Militärputsch mit Hilfe von André Breton und Jean-Paul Sartre von Istanbul aus emigrierte.
Doch der Reihe nach. In Düsseldorf kann man sein Werk chronologisch betrachten. Nach der Treppe links herum die 1950er Jahre, rechts herum die Arbeiten von 2011 rückwärts. Auffallend ist sofort, wie wenig sich die Arbeiten in ihrer Farbigkeit verändert haben. Schon immer hat Arslan für seine Malerei keine industrielle Farbe, sondern eine Mischung von Pigmenten mit unterschiedlichen pflanzlichen Extrakten wie Blüten oder Gras, Körperflüssigkeiten und zusätzlichen Substanzen wie Öl, Kohle und Steinen benutzt. Seit 1955 ist das so, er nennt das selbst die Technik der vorgeschichtlichen, der natürlichen Farben. Anfangs beschränkt er sich darauf, die Körperteile der Menschen zu separieren und deren Funktionsweise zu untersuchen, auch wenn da zwischendurch mal mit einer Grille kopuliert wird. Alles erinnert stark an die Miniaturen, wie sie im Orient bekannt waren und sind, und an naturkundliche, anatomische Buchseiten aus Kompendien der vergangenen Jahrhunderte – immer mit besonderem Blick auf die Fortpflanzungsorgane der Geschlechter, ihre Funktion und Wirkungsweise, ihre besonderen Stellung im natürlichen Kreislauf der Menschheit, dazwischen auch gepaart mit politischer Auseinandersetzung in den Serien „Le capital“ (1969-1975) und „Actualisation du capital“ (1975-1980). Arslan setzt sich hier mit Marxistischer Analyse der Arbeitswelt und linker Theorie, später dann mit deren Überwindung „Arture 201 – I‘m not a Marxist!“ auseinander. Viel wichtiger scheint danach die Suche nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält, zu werden, wichtig dabei immer: „Er will sich nicht in eine Schublade stecken lassen, kein Maler wie die anderen sein“. Und dann sind da noch die Arbeiten zu psychischen Vorgängen wie „The Hands of Schizophrenics“ (1995) oder das köstliche Blatt „Encephalus and Testicles“ (1997) aus der Serie „Man“. Wieder interessiert sich Arslan selbsterklärt für die Künstler des „Art Brut“, ohne die Schublade Outsiderkunst anzuerkennen. Oder gehört er etwa selbst dazu?
„Yüksel Arslan Artures“ I bis 24.6. I Kunsthalle Düsseldorf I 0211 892 91 68
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